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Viel Freude bei der Lektüre!
Die Herausgeber
Das Buch »Gestalt Therapy« von dem Autorenteam Frederick S. Perls, Ralph F. Hefferline und Paul Goodman (»PHG«) bildet die Grundlage der Gestalttherapie. Was auch immer die Erweiterungen, Fortentwicklungen, Modifikationen in praktischer und theoretischer Hinsicht sind, welche einzelnen Aussagen, Thesen oder Vorschläge auch einer kritischen Revision unterzogen werden, eine Gestalttherapie, die die Verbindung zu diesem 1951 erschienen Buch nicht mehr hat, wird so ?ach, als würde die Psychoanalyse sich nicht mehr mit der »Traumdeutung« von Sigmund Freud oder die Bioenergetik mit der »Funktion des Orgasmus« von Wilhelm Reich beschäftigen.
Das Buch »Gestalt Therapy« ist nun keine Lektüre, die sich den Lesern einfach erschließt. Von einer Reihe amerikanischer Kollegen, die unter dem Eindruck der »wilden« 1960er Jahre allzu oft eine Verachtung für Theorie zur Schau stellten (ohne dabei zu bedenken, dass Laura und Fritz Perls und Paul Goodman typische Intellektuelle waren, sowie Ralph F. Hefferline ein Universitätsprofessor), haben in Deutschland viele Gestalttherapeuten eine gewisse Vorsicht, wenn nicht sogar einen ängstlichen Respekt diesem Buch gegenüber übernommen. Dabei ist uns schon recht bald deutlich geworden, dass viele der Schwierigkeiten mit »PHG« von einer problematischen Übersetzung stammen.
Nachdem wir Anfang der 1990 er Jahre begannen, das Buch in unseren gestalttherapeutischen Ausbildungen abschnittweise »durchzukauen«, hat unser Theorietrainer Stefan Blankertz, jemand, der sich von Jugend an mit Paul Goodman beschäftigte, einen Text verfasst, der ausgewählte Themen- und Problemfelder des Buches (aber auch der Übersetzung ) darstellt: Sein Text »Gestalt begreifen« begleitet die Ausbildungen seit Mitte der 1990er Jahre und ist letztes Jahr bereits in der vierten, überarbeiteten und erweiterten Au?age erschienen.
Als 2006 die neue Übersetzung von »Gestalt Therapy« herauskam, war unsere Erleichterung und Freude zunächst groß, zumal diese Übersetzung nun von Gestalttherapeuten besorgt worden ist. Endlich würde der Grundlagentext unverfälscht und damit hoffentlich auch leichter zugänglich sein. Als jedoch in unseren Ausbildungsgruppen beide Übersetzungen und das amerikanische Original in wesentlichen Abschnitten besprochen wurden, stellte sich Ernüchterung ein. Streckenweise las sich die alte Übersetzung einfach ?üssiger. Dann tauchten die ersten Fragezeichen bezüglich der neuen Übersetzung auf. Unsere Ernüchterung ging in Enttäuschung über – spätestens als wir einer Masse teilweise wiederum sinnentstellender Fehler gegenüber standen. So ist eine Chance vertan worden, den Text so zu übersetzen, dass er für die Praxis ebenso nutzbar geworden wäre, wie er zu einer angemessenen theoretischen Auseinandersetzung hätte einladen können.
Was konnten wir tun? Eine komplette weitere Neuübersetzung anzufertigen, ließe sich weder ?nanzieren, noch deren Veröffentlichung mit dem Urheberrecht vereinbaren. Im Brainstorming mit Stefan Blankertz ist die Idee entstanden, zentrale Passagen des Buches in zu wissenschaftlichen Zwecken erlaubten Großzitaten jeweils im englischen Original, in beiden deutschen Ausgaben und in einer ganz neuen (durch Stefan Blankertz extra für diese Veröffentlichung angefertigten) Übersetzung zu präsentieren und zu kommentieren. Diese Art der Darstellung , die auch zu einem innovativen Layout geführt hat, ist nicht zuletzt auch auf unsere gemeinsame Begeisterung für Religion und insbesondere die Tradition christlicher Bibelkritik zurückzuführen. Denn in dieser Tradition ist es völlig selbstverständlich geworden, die Evangelien, aber auch die verschiedenen Übersetzungen der Bibel in so genannten »Konkordanzen« gegenüber zu stellen.
Der Nachteil dieser Präsentation, nämlich dass bestimmt eine Reihe von besonders schönen Absätzen und auch unseren Lieblingsstellen aus dem Buch nicht enthalten sind, wird durch einen Vorteil mehr als aufgewogen: Die zentralen Gedanken des Buches treten nun konzentriert und übersichtlich hervor. Mit den Übersetzungen und Kommentaren von Stefan Blankertz als Modell wird derjenige, der sich mit weiteren Teilen des Buches intensiv auseinandersetzen will, u. E. genügend angeregt sein, sich selbst ein Bild zu machen.
Das vorliegende Buch »Gestalttherapie Essentials« steht auch im Zusammenhang mit der Frage nach gestalttherapeutischer Identität. Viele von den ursprünglichen Konzepten sind in die Diskussion geraten. Es finden Vermischungen mit anderen Therapieansätzen statt. Gestalttherapie ist als therapeutisches Verfahren in Deutschland nicht »offiziell« (sozialrechtlich) anerkannt, in Österreich jedoch sehr wohl. Internationale und nationale Verbände von Gestalttherapeuten sehen ihre Hauptaufgabe darin, die Anerkennung durch den Medizinbetrieb zu erreichen. Der rebellische Impuls der ursprünglichen Gestalttherapie ist dabei leider weitgehend verloren gegangen und fast nur noch eine nostalgische Erinnerung. Kaum jedoch ist die theoretische Fundierung vorangeschritten. Ganz im Gegenteil: Zentrale Aussagen, die für die Anerkennung zu sperrig erscheinen, werden dekonstruiert, aber nicht aufgefüllt.
Ohne uns hier festlegen zu wollen, was der richtige Weg ist, möchten wir allerdings mit diesem Buch auch dazu beitragen, dass über die theoretische Identität und Konsistenz der Gestalttherapie überhaupt wieder nachgedacht und diskutiert wird. Damit wird das Buch zu einer in Form und Inhalt einzigartigen, dabei höchst inspirierenden Sache.
Unser Dank dafür gilt unserem geschätzten Kollegen und lieben Freund Stefan Blankertz.
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir eine
anregende Lektüre.
Anke und Erhard Doubrawa, Herausgeber
Gestalt-Institut Köln (GIK)
Stefan Blankertz ist Sozialwissenschaftler und Schriftsteller (www.stefanblankertz.de). Er arbeitet als Theorietrainer am »Gestalt-Institut Köln (GIK)«. In enger Zusammenarbeit mit dem GIK hat er das computergestützte, auf der Gestalttherapie basierende Diagnose-Instrument »Gestalttypen-Indikator GTI« (www.gti-coaching.de) entwickelt. Mit Erhard Doubrawa verfasste er das »Lexikon der Gestalttherapie«, das ebenfalls in der Edition GIK im Peter Hammer Verlag erschienen ist.
Weitere Buchveröffentlichungen in der Edition GIK: »Verteidigung der Aggression: Gestalttherapie als Praxis der Befreitung«, »Wenn der Chef das Problem ist. Ein Ratgeber«, »Meister Eckhart: Heilende Texte (kommentiert auf dem Hintergrund der Gestalttherapie), »Die Therapie der Gesellschaft«, sowie - gemeinsam mit Erhard Doubrawa - »Einladung zur Gestalttherapie. Eine Einführung mit Beispielen«.
Bitte beachten Sie auch die zahlreichen Beiträge des Autors in unserer Zeitschrift "Gestaltkritik" (alle Texte in voller Länge online).