Cover: Verteidigung der Aggression

Stefan Blankertz
Verteidigung der Aggression
Gestalttherapie als Praxis der Befreiung
Herausgegeben von Anke und Erhard Doubrawa

Für Glück im Leben und mehr Frieden in der Welt müssen unterdrückte Aggressionen freigesetzt werden. Diese provokante These haben Perls, Hefferline und Goodman 1951 im Gründungsdokument der Gestalttherapie aufgestellt. In der Phase der Anpassung der Gestalttherapie an institutionelle Rahmenbedingungen ist diese These zum Ärgernis geworden. Stefan Blankertz' Buch ist ein engagiertes Plädoyer für eine Gestalttherapie, die zu ihren Wurzeln zurückfindet.

Edition GIK Gestalt-Institute Köln und Kassel
im Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2010
90 Seiten, Paperback,13,90 Euro

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Und hier die Leseproben:

Statt eines Vorworts (Anke und Erhard Doubrawa)

„Petra hatte sich von Klaus, ihrem Ehemann, getrennt, den sie so sehr liebte. Sie war einfach nicht mit seiner »Aggressivität « in der Sexualität klargekommen. Sie fühlte sich bedroht von seiner Lust, mochte es nicht, wenn er sie »richtig anpackte«. Sexualität hatte für sie nur sehr wenig mit Lust und Heftigkeit zu tun. Sie mochte gerne Schmusen. Weiche Sexualität. Und so kamen die beiden in diesem Bereich nicht miteinander zurecht. Inzwischen hatte sie einige Freunde gehabt und gute Erfahrungen mit »weicher« Sexualität gemacht, Zärtlichkeit genossen. Doch immer hat sie an Klaus denken müssen. Schließlich kamen die beiden erneut zusammen. Nach kurzer Zeit ängstigte Petra sich wieder vor der Sexualität mit Klaus, vor seiner kraftvollen Lust. Gerade in dieser Zeit erinnerte sie sich an eine wirklich schlechte Erfahrung, die sie mit einem Mann gemacht hatte, als sie 15 Jahre alt war (also vor mehr als 25 Jahren). Sie war von diesem Mann bedrängt worden, als sie nicht bereit war, mit ihm zu schlafen. Sie fand sich nackt mit ihm in seinem Bett wieder. Sie erinnerte sich noch gut an sein großes Glied, steif und heiß. Was dann geschah, daran konnte sie sich nicht mehr erinnern. Übrig geblieben war jedoch die Angst vor bedrängender Sexualität. Nun wollte sie aber mit Klaus zusammenbleiben. So schlug ich ihr als ihr Therapeut folgende Phantasie vor: Sie solle sich sein erigiertes Glied vorstellen, wenn sie zusammen Sex hatten. Dann sollte sie sich sagen: »Warte nur, ich mach’ Dich klein!« Diese Therapie fand in der Gruppe statt. Während der Arbeit hatte sich die Atmosphäre sehr gelockert. Die Leute – ganz besonders die Frauen – lachten und hatten viel Spaß bei diesem Gedanken. Bei unserem nächsten Gruppenwochenende, rund acht Wochen später, berichtete Petra von ihren guten Erfahrungen auf einem für sie ganz neuen Gebiet: Sie hatte ihre eigene lustvolle und aggressive Sexualität entdeckt. Sie genoss diese sehr. Gestalttherapeutischer Schluss: Liebe, Lust und Aggression sind keine Gegensätze – wer sie auseinanderreißt, wird unglücklich. Manchmal muss man den anderen sogar »klein machen«, um ihn groß zu lieben.“. (Aus: Doubrawa | Blankertz, Einladung zur Gestalttherapie, Wuppertal 2000 / 2010.)

Wir sind sicher, dass die vorliegende Verteidigungsschrift von Stefan Blankertz einen – durchaus kontroversen – Dialog auslösen kann und hoffentlich wird. Darüber hinaus hoffen wir, dass an dessen Ende das wertvolle ursprüngliche Verständnis von Aggression in der Gestalttherapie rehabilitiert wird. Wir wünschen Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, eine anregende und durchaus unterhaltsame Lektüre.

Anke und Erhard Doubrawa, Herausgeber Edition GIK

Gestalt-Institut Köln · www.gestalt.de

 

Verteidigung der Aggression: Gestalttherapie als Praxis der Befreiung (Stefan Blankertz)

 

1.

Aggression zu verteidigen, dieser Widerspruch in sich, ist zugleich ihre Kritik. Denn Aggression hat die Menschheit fest im Griff. Der Terrorismus religiöser Fanatiker, der wie ein böses Gelächter aus dreißigjährigem Krieg zu uns herüberschallt, ebenso wie die gewöhnliche Gewalt in den Straßen und Stadien oder auf den Schulhöfen beklagt man gern, am Stammtisch nicht weniger als im Feuilleton. Der Kampf gegen den Terrorismus der Staaten und internationalen Bündnisse und die sozialarbeite rischen Maßnahmen zur Befriedung allkläglicher Gewalt, die, wie es die Ideologie will, zunimmt, dürfen nicht »aggressiv« genannt werden; die Betroffenen erleben sie gleichwohl wie eine Aggression. Der Allgegenwart von Aggression entspricht als ein wohlgemerkt zu leichtes Gegengewicht die Geißelung jeder Aggression, ja des kleinsten Ausbruchs von Zorn oder Wut auf Seiten des Individuums. Wie für die Prediger sexueller Enthaltsamkeit die ganze Welt aus bösartiger Verführung besteht, so erscheinen dem Prediger der Gewaltlosigkeit im zornesroten Gesicht, im Freilegen der Schneidezähne durch halb geöffnete Lippen die Kräfte der kriegerischen Massenvernichtung. Die Angst, mit der der Spießer (eingeschlossen der Autor) auf aggressives individuelles Gebaren reagiert, erklärt sich zum Maßstab von Vernünftigkeit. In Wahrheit ist die Angst selbst ein Produkt der Aggression, die aber nicht vom Einzelnen ausgeht, sondern von der organisierten Gesellschaft. Sie diktiert dem Einzelnen, dass ein fried liches, kooperatives, auf Ausgleich angelegtes Verhalten erste Bürgerpflicht sei. Das laute Wort hat die organisierte Gesellschaft nicht nötig. Sie braucht nur zu flüstern, dass, wer sich ihren vernünftigen Regeln nicht unterwirft, einen kafkaesken Prozess durchlaufen wird. Man kommt angepasst heraus oder geht auf dem Dienstweg verloren. Dann spricht sich die organisierte Gesellschaft in ihrem Requiem auf dich, das Opfer, selbst von jeder Schuld frei, indem sie Krokodilstränen vergießt über eine Person, für die man nicht mehr und nicht genügend hatte tun können, um sie zur Integration zu veranlassen. ›Beim Nächsten werden wir uns mehr Mühe geben‹, versprechen die Würdenträger des Systems einander und lachen sich dabei ins Fäustchen: Jedes Opfer der organisierten Gesellschaft dient dem übrigen Volk zugleich als ein Mahnmal, dass Abweichung mit dem Tode bestraft wird, nicht durch die unsichtbare Hand des Systems, sondern durch die sichtbare des Opfers, welches sich, verzweifelt, selbst richtet.

 

2.

Unendlicher Spaß. –Den Begriff »organisierte Gesellschaft« verwende ich im Sinne von Paul Goodman, »Growing Up Absurd: Problems of Youth in the Organized Society« (1960). Gemeint ist eine »Gesamtgesellschaft «, die einen hohen Grad an verschachtelter Organisation aufweist, die dem Einzelnen weder überschaubar noch veränderbar erscheint und die keine individuelle Verantwortung außerhalb ideologischer oder willkürlicher Zuschreibung mehr kennt.

 

3.

Gegendefinition. – Der Wunsch, Aggression zu definieren, um sie untersuchbar zu machen, offenbart, dass die Sozialwissenschaften noch immer nicht die Ehrfurcht vor dem Reden gelernt haben, das mit seiner Flexibilität und Randunschärfe die Wirklichkeit immer noch besser abbilden kann als es wohlfeile Sprachkritik zugesteht. Ohne Schwierigkeiten erkennen wir den Unterschied ebenso wie die zugrunde liegende Gemeinsamkeit von der Nachricht, ein Staat habe gegenüber einem anderen eine »Aggression« ausgeübt, dem Urteil, ein Kind zeige »aggressives« Verhalten, und dem Wunsch, eine Nachwuchsführungskraft könne ruhig ein wenig »aggressiver « sein und mehr Biss zeigen. Mit »Aggression« werden meist, jedoch nicht immer, negative Gefühle und auch negative moralische Bewertungen verbunden: dennoch gestehen wir mitunter zu, dass eine Aggres sion »verständlich« oder sogar »notwendig « sei. Es wäre auch verwunderlich, wenn eine so universell im Miteinander auftretende Gattung von Handlungen gar keinen funktionalen Kern habe. Fast jeder stimmt dem Gebot »du sollst nicht töten« zu und dennoch erlaubten sich nicht nur unsere Vorväter in dunklen Zeiten seine Übertretung, sondern auch heute noch gibt der Krieg eine moralische Rechtfertigung fürs Töten. Als Mose mit den zehn Geboten, deren fünftes (oder in anderer Zählung sechstes) »du sollst nicht töten« lautet, vom Berg Sinai herabstieg, musste er feststellen, dass die Israeliten der langen Wartezeit wegen abtrünnig geworden waren und einen anderen Gott anbeteten, den sie in einem goldenen Kalb versinnbildlichten. Daraufhin entfachte er in Abstimmung mit Gott einen Bürgerkrieg, dem viele Israeliten zum Opfer fielen. Diese grausame Erzählung, in der sich der Kernbestand der Intoleranz abrahamitischer Religionen ausdrückt, macht deutlich, wie verletzlich das Tötungsverbot ist. Im Islam wird das Tötungsverbot denn auch, realistisch, jedoch auch weniger romantisch und vor allem im höchsten Maße der willkürlichen Auslegung offen mit »es sei denn bei vorliegender Berechtigung« eingeschränkt.

 

6.

Am Beispiel des Hummers. – »Wer ins Restaurant geht, tut das in der Regel nicht, weil er feindselige Gefühle gegen die dort angebotenen Speisen hegt und sie daher vernichten will. Die beim Essen stattfindende Zerstörung der Lebensmittel ist funktional notwendig, hat aber nichts mit dem zu tun, was man landläufig mit Aggressivität oder Destruktivität versteht«, bemerken Frank-M. und Barbara Staemmler ironisch in ihrer Abrechnung mit der »Perls’schen Aggressionstheorie und -methodik«. Paul Goodman, einer der anderen Begründer der Gestalttherapie, hat in einem seiner Romane einen Mann beschrieben, der in existenzielle Nöte gerät, weil er den Gedanken nicht mehr ertragen kann, seine Zähne in andere Lebewesen – seien es Tiere, seien es Pflanzen – zu schlagen und sie zu töten, um selbst leben zu können. Es handelt sich um Lothair in »The Empire City« (ein Zyklus von vier Romanen 1942 - 1959). Emilia aus dem Freundeskreis von Lothair antwortet mit einem »Tischgebet«: »Sehet, ein lebendes Tier ist getötet worden für unser Mahl. Lasst den, der Angst hat, das zu sehen, der zimperlich ist, lasst den hier jetzt nicht essen, damit er seinen Ekel nicht zu unterdrücken braucht. Ein totes Tier. Wir stehen in einem Strom des Lebens und der Begierde mit diesen Tieren. Folgt daraus, dass wir sie nicht essen sollten? Nein. Daraus folgt, dass wir manchmal so wild zubeißen müssen wie sie es tun.

 

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 Foto: Stefan Blankertz
Foto: Hagen Wilsch

Stefan Blankertz ist Sozialwissenschaftler und Schriftsteller (www.stefanblankertz.de). Er arbeitet als Theorietrainer am »Gestalt-Institut Köln (GIK)«. In enger Zusammenarbeit mit dem GIK hat er das computergestützte, auf der Gestalttherapie basierende Diagnose-Instrument »Gestalttypen-Indikator GTI« (www.gti-coaching.de) entwickelt. Mit Erhard Doubrawa verfasste er das »Lexikon der Gestalttherapie«, das ebenfalls in der Edition GIK im Peter Hammer Verlag erschienen ist.

Weitere Buchveröffentlichungen in der Edition GIK: »Gestalt Begreifen. Ein Arbeitsbuch zur Gestalttherapie-Theorie« (entstanden im Rahmen von Stefan Blankertz' Lehrtätigkeit am Gestalt-Institut Köln GIK), »Wenn der Chef das Problem ist. Ein Ratgeber«, »Meister Eckhart: Heilende Texte (kommentiert auf dem Hintergrund der Gestalttherapie), »Die Therapie der Gesellschaft«, sowie - gemeinsam mit Erhard Doubrawa - »Einladung zur Gestalttherapie. Eine Einführung mit Beispielen«.

Bitte beachten Sie auch die zahlreichen Beiträge des Autors in unserer Zeitschrift "Gestaltkritik" (alle Texte in voller Länge online).

 

 

Cover: Verteidigung der Aggression

Stefan Blankertz
Verteidigung der Aggession
Gestalttherapie als Praxis der Befreiung
Herausgegeben von Anke und Erhard Doubrawa

Für Glück im Leben und mehr Frieden in der Welt müssen unterdrückte Aggressionen freigesetzt werden. Diese provokante These haben Perls, Hefferline und Goodman 1951 im Gründungsdokument der Gestalttherapie aufgestellt. In der Phase der Anpassung der Gestalttherapie an institutionelle Rahmenbedingungen ist diese These zum Ärgernis geworden. Stefan Blankertz' Buch ist ein engagiertes Plädoyer für eine Gestalttherapie, die zu ihren Wurzeln zurückfindet.

Edition Gestalt-Institut Köln / GIK Bildungswerkstatt
im Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2010
90 Seiten, Paperback,13,90 Euro

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