Geleitwort von Anke Doubrawa (Leseprobe I) S. 7
1. Dein Leben ist ein Fiasko (Leseprobe
II) S. 9
2. Angst (Leseprobe III) S. 19
3. Du bist deprimiert S. 25
4. Leiden S. 37
5. Lass’ uns etwas anderes probieren S. 49
6. Alle deine Gefühle sind wichtig S. 57
Interview mit Daniel Rosenblatt 2007 S. 71
Was ist Gestalttherapie? von Erhard Doubrawa S. 85
Einen Gestalttherapeuten finden S. 88
Literaturempfehlungen S. 89
Und hier die Leseproben:
Leseprobe I:
Geleitwort von Anke Doubrawa
Dan Rosenblatt legt mit „Gestalttherapie für alle Fälle: Eine Anleitung zum selbstbestimmten Leben“ ein Buch vor, in dem er auf poetische Art und Weise an seinem großen Erfahrungsschatz über das menschliche Leben teilhaben lässt. Es ist wie ein Gedicht geschrieben – ein Gedicht, in dem über Themen, die uns alle betreffen, wie Verantwortung, Schulderleben, Angst, Depression und Leid „gesprochen“ wird, und in dem Sie eingeladen werden, sich berühren zu lassen und über sich selbst nachzudenken.
Dan Rosenblatt ist Gestalttherapeut. So sind all seine Erfahrungen, die Sie in diesem Kunstwerk entdecken können, von der Gestalttherapie beeinflusst. Es ist nur allzu natürlich, dass Sie die Frage stellen, was denn Gestalttherapie eigentlich ist: Ab Seite 85 finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, deshalb eine kurze Einführung in die Gestalttherapie von Erhard Doubrawa.
An dieser Stelle nur soviel: Die Gestalttherapie, eine psychotherapeutische Methode, lebt vom und durch den Kontakt zwischen dem Therapeuten und dem Klienten; ihr liegt eine dialogische Haltung zugrunde. Etwas praktischer ausgedrückt: Ich bin Gestalttherapeutin; in meiner Praxis spreche ich mit meinen Klienten. Ich begleite meine Klienten darin, zu entdecken, wie sie das Problem, das sie zu mir führt, auf eine für sie passende Weise lösen können. Ich begreife mich nicht als Wissende, sondern ich bin die Begleiterin in einem Suchprozess. Und diese Haltung zeichnet Dan Rosenblatt in seiner Arbeit als Gestalttherapeut wirklich aus. Ich habe seine großzügige, respektvolle und aufregende Arbeit am eigenen Leib erfahren dürfen und bin sehr dankbar dafür. In einem Workshop in Miami hat er eine Gruppe mit Teilnehmern aus verschiedenen Ländern geleitet, von denen ich eine war. Dan hat uns stets liebevoll und aufmerksam in unseren Arbeiten begleitet und sich uns interessiert und kontaktvoll zugewandt. Er hat uns eingeladen und ermutigt, unsere Lebensthemen zu erforschen und unser Leben selbst mehr in die Hand zu nehmen.
In diesem Buch wird die interessierte, kontaktvolle Haltung, die Dan Rosenblatt seinen Klienten entgegen bringt, spürbar. Es ist, als spräche er zu dem Leser. Fast wirkt es, als wende er sich dem Einzelnen direkt zu – mit seinen Einladungen und Anregungen. Allein, der wirkliche und einzigartige Dialog zwischen dem Klienten und dem Therapeuten, der in der Gestalttherapie möglich ist, kann durch ein Buch leider nicht entstehen. Ein Buch kann jedoch berühren, innere Suchprozesse anregen und das Denken des Lesers über sich selbst verändern. Und das wird beim Lesen von Dan Rosenblatts „Gestalttherapie für alle Fälle“ sicher geschehen.
„Gestalttherapie für alle Fälle“ – ein reißerischer Titel, mögen Sie sagen. Und Sie mögen fragen: Hilft dieses Buch wirklich in allen Fällen? Ja, es kann hilfreich in allen Fällen sein, in denen Sie nicht auf Ihre Wahrnehmungen achten, speziell auf Ihre Gefühle, die Ihnen hautnah Auskunft geben über sich selbst. Sie geben Auskunft über Ihre Impulse und Wünsche, Ihre Bedürfnisse und Sehnsüchte. Ihre Gefühle erzählen über Ihre Welt und darüber, was Sie erleben. Indem Sie Ihren Gefühlen Aufmerksamkeit widmen und sie annehmen, können Sie lernen, was der nächste sinnvolle Schritt für Sie ist. Dieses Buch von Dan Rosenblatt kann Ihnen Anregungen geben, wie das möglich ist.
Ab Seite 71 finden Sie in einem Interview, das David Van Nuys mit Dan Rosenblatt im Shrink Rap Radio geführt hat, mehr Informationen über diesen erfahrenen Gestalttherapeuten und lebenserfahrenen Menschen.
Dieses Buch ist als deutsche Erstveröffentlichung in der Edition GIK erschienen. Ich bin sehr froh, dass es nun wieder in der neuen Edition gikPRESS verfügbar ist. Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dass Sie Anregungen und Hilfestellungen darin finden werden. Sollte Ihr Interesse geweckt worden sein, eine Gestalttherapeutin oder einen Gestalttherapeuten aufzusuchen, um sich bei Ihrer Selbstentdeckung unterstützen zu lassen, gibt es für Sie am Ende des Buches einen Hinweis, wie Sie einen Therapeuten in Ihrer Region finden können.
Anke Doubrawa, Gestalttherapeutin
Leseprobe II:
Daniel Rosenblatt: Dein Leben ist ein Fiasko
Ein richtiges Fiasko.
Ein sinnloses, unangenehmes, ekliges Fiasko.
Ein armseliges Fiasko.
Du fühlst dich hilflos.
Als Opfer.
Es ist ja nicht deine Schuld.
Gut – hier und da,
ab und zu,
nur ganz selten,
hast du vielleicht
ein kleines bisschen,
aber wirklich nur
ein kleines bisschen
damit zu tun, dass dein Leben ein solches
fiasko
ist.
Auf der anderen Seite
könnte es aber auch sein
– möglich,
ja sogar wahrscheinlich,
und überhaupt kein Zufall –,
dass du
ziemlich viel damit zu tun hast,
dass dein Leben
ein solches
fiasko
ist.
Was wäre, wenn du beschließen würdest,
dass du für dein Leben verantwortlich bist?
Was wäre, wenn du
nur du
ganz allein
und ohne große Hilfe
von anderen
dein Leben
zu einem solchen Fiasko gemacht hättest –
trotz aller guten Vorsätze?
Angenommen, du hättest dieses Fiasko selber gemacht.
Du wärst nicht der einzige. Vielen Menschen fällt es leicht,
ihr Leben zu verpfuschen.
Das kannst du sogar tun, ohne es selbst zu bemerken.
Wenn du dich
schlecht fühlen willst,
dann
gibt es dafür
viele, viele Möglichkeiten:
Du kannst dafür sorgen, dass du dich:
ängstlich
deprimiert
verletzt
schuldig
gelangweilt
empört
beschämt
wütend
fühlst.
Du kannst
dich sorgen
leiden
krank werden
dich zurückziehen.
Wenn du also das Gefühl hast, dass dein Leben ein Fiasko ist,
aber gleichzeitig siehst, dass du dich selbst auch noch dafür bestrafst,
dann
bist du nicht hilflos,
sondern dafür
verantwortlich,
dass du dich selbst
bestrafst.
Die meisten Leute, die sich selbst bestrafen,
merken es nicht einmal.
Vielleicht weißt du nicht
wie du dich selbst bestrafst,
oder
wofür es gut ist,
dass du dich selbst bestrafst,
wenn du aber verstehst,
dass du selbst dafür
verantwortlich
bist,
dass du dich bestrafst.
Wenn du anfangen kannst,
es so zu betrachten,
dann kannst du vielleicht auch
anfangen
zu sehen,
dass du auch
dafür verantwortlich bist,
dich zu belohnen,
auf dich zu achten
und
dich nicht zu bestrafen.
Wenn du das
wirklich
verstehst,
dann ist bei dir gerade
etwas Wichtiges
Wesentliches
Aufregendes
etwas Wunderbares
und Befreiendes
geschehen.
Hast du es gemacht?
Hast du es zugelassen?
Warst du dafür verantwortlich, dass es geschehen konnte?
Augenblick mal:
Was ist es?
„Es“ zu sagen, kann heißen:
dich zu verlieren
zu verachten
was du getan hast
dich von deinen Gefühlen
abzuhalten
deine Gedanken
zu vermeiden.
Angenommen, du würdest
laut sagen:
ich
Habe mich verändert
ich
Habe
Mich
Verändern
Lassen
ich
Habe zugelassen
Dass ich
Mich verändere
ich
Habe
Meine Lebensweise
Verändert
Wie fühlt es sich an,
für es verantwortlich zu sein?
Wie wäre es, wenn ich stattdessen sagen würde:
Wie fühlst du dich dabei,
für dein Leben
verantwortlich
zu sein?
Macht das einen Unterschied?
Angenommen, ich verändere auch diesen Satz:
Erkennst du den Unterschied?
Oder noch besser:
Fühlst du den Unterschied?
Du kannst dich
vor dem, was du
fühlst
und
denkst
verstecken,
indem du Sprache
als
Schranke
Sperre
Hindernis
benutzt.
Wenn du
du, ganz alleine
deine
Worte
und
deine Sprache
benutzt, um
deine
Gefühle
und
Gedanken
zu verbergen,
dann
bist
du
dafür verantwortlich,
dass du
dich selbst
vor dir selbst
und vor anderen
versteckst.
Dir selbst klar zu machen,
dass du
für dich selbst
verantwortlich
bist,
ist wichtig,
damit
du
Verantwortung dafür übernehmen kannst,
dass du
ängstlichdeprimiertverletztschuldig
gelangweiltempörtbeschämtwütend bist
dichsorgstleidestkrankwirstdichzurückziehst
oder
nicht
ängstlichdeprimiertverletztschuldig
gelangweiltempörtbeschämtwütend bist
dichsorgstleidestkrankwirstdichzurückziehst.
Jetzt werden wir uns anschauen,
wie du daran arbeiten kannst,
dein Leben nicht zu einem Fiasko zu machen,
indem du
krankwirstdichlangweilst
dichschuldigfühlstsorgstängstlich bist
etcetcetcetcetc.
Und du bist dafür verantwortlich,
ob du das, was ich dir zeige
für dich nutzen willst
oder nicht.
Das ist dein Leben.
Du machst dein Fiasko – oder du löst es auf.
Du kannst dieses Buch für dich nutzen – oder auch nicht.
Leseprobe III:
Daniel Rosenblatt: Angst
Angst
ist ein sehr praktisches
Wort.
Hinter der
Angst
kannst du vieles verstecken.
Angst
ist ein gutes Wort
um sich dahinter zu verstecken,
weil
keiner so genau weiß, was
Angst
eigentlich ist
oder
was
Angst
bedeutet.
Wenn Menschen sagen, dass sie
ängstlich
sind,
fühlen sie sich meistens
unklar
besorgt
unsicher
bedroht
hilflos
aber nur ein bisschen so.
Wenn Menschen sagen, dass sie
sehr ängstlich
sind,
fühlen sie sich meistens
panisch
voller Schrecken
sehr bedroht
kurz davor zu ersticken
einen Herzinfarkt zu bekommen
zu sterben.
Angst
ist eines der Gefühle, die wir
in unterschiedlichen Situationen
aus unterschiedlichen Gründen
erzeugen.
Das beste Mittel, um
Angst
zu bekommen ist:
nicht mehr zu atmen.
Probiere es aus. Jetzt.
Halte so lange du kannst die Luft an.
Stell dir vor, du würdest nie wieder atmen.
Und halte die Luft an. So lange du kannst.
Und jetzt atme!
Hast du die
Angst
gespürt – beim Luftanhalten?
Wenn nicht, mach dieses Experiment noch einmal.
Eine andere Möglichkeit, um Angst zu bekommen, ist
ganz kurze, schnelle Atemzüge zu machen.
Probier’s aus.
Wenn Menschen Angst haben zu ertrinken,
Wenn sie spüren, dass die Luft verschmutzt ist,
Wenn sie mit der Achterbahn fahren,
dann verändern sie meistens
ihre Atmung.
Sie können aufhören zu atmen
kurz und schnell einatmen
kurz und schnell ausatmen.
Sie können sich selbst
Angst machen.
Wann immer du
Angst
hast,
achte auf deine Atmung.
Schau, ob du dir deiner Atmung
gewahr werden kannst.
Dann schau, ob du deine Atmung verändern kannst.
Jetzt schau, ob du sämtliche Luft
aus deinem Bauch pressen kannst.
Drücke, presse sie heraus.
Schau, ob du das drei Minuten lang
durchhältst.
Wie fühlst du dich?
Ich wette, du fühlst dich nicht ängstlich.
Ich wette, du fühlst dich
erregt
frisch
gesund
lebendig.
Es ist sehr wichtig, wie du atmest.
In Indien bezeichnet ein und dasselbe Wort
sowohl Atem als auch Seele.
Im Hebräischen bezeichnet ein und dasselbe Wort
sowohl Atem als auch Geist.
Wenn du tief atmest,
wird es dir schwerer fallen
Angst zu haben.
Wenn du kaum atmest
oder in kurzen, flachen Zügen atmest,
dann hast du damit ein einfaches Mittel,
um dir selbst
Angst
zu machen.
Angst zu haben
ist eine gute Möglichkeit, Gefühle zu verbergen,
die du nicht haben willst.
Wenn wir aufwachsen,
lernen wir eine ganze Menge.
Wir lernen, dass
wütende Menschen keine netten Menschen sind
(die andere Wange hinhalten!)
Menschen, die Spaß an Sex haben, keine netten Menschen sind
(Sex ist schmutzig!).
Wir lernen, dass
furchtsame Menschen keine netten Menschen sind
(Feigling, Angsthase, Waschlappen!)
aufgeregte Menschen keine netten Menschen sind
(cool bleiben, sich unter Kontrolle haben,
seine Gefühle nicht zeigen!).
Was machst du, wenn du
wütend
sexuell erregt
erschrocken
aufgeregt
bist?
Wenn du einen Weg suchst,
um diese Gefühle nicht zu spüren:
Angst haben
ist ein Ausweg.
Aber Angst zu haben, ist keine
gute Art,
dein Leben zu leben.
Nicht, wenn du
fühlen, genießen, dich spüren, du selbst sein
willst.
Wirklich du selbst.
Dr. Daniel Rosenblatt wurde 1925 in Detroit/Michigan geboren. Er studierte in Harvard und Cambridge und erlernte Gestalttherapie bei Laura Perls. Nach einer langjährigen akademischwissenschaftichen Tätigkeit arbeitete er weit mehr als 40 Jahre in seiner privaten psychotherapeutischen Praxis in New York.
Er ist „Fellow“ und ehemaliger Vizepräsident des New Yorker Instituts für Gestalttherapie und leitete Ausbildungsgruppen in Gestalttherapie in den USA, Europa, Australien und Japan.
Neben „Gestalttherapie für alle Fälle“ veröffentlichten wir in unserer Edition zusammen mit dem Peter Hammer Verlag von Daniel Rosenblatt u.a.: „Gestalttherapie für Einsteiger. Eine Anleitung zur Selbstentdeckung“ (jetzt in: „Gestalt Basics“) und „Zwischen Männern. Gestalttherapie und Homosexualität“.
Bitte beachten Sie auch die zahlreichen Beiträge des Autors in unserer Zeitschrift "Gestaltkritik" (alle Texte in voller Länge online).