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Anke und Erhard Doubrawa
Schattenarbeit für Gestalttherapeutinnen und -therapeuten
Ein Vortrag


Aus der Gestaltkritik 1/2012:

Gestaltkritik - Die Zeitschrift mit Programm aus den GIK Gestalt-Instituten Köln und Kassel
Gestaltkritik (Internet): ISSN 1615-1712

Themenschwerpunkte:

Gestaltkritik verbindet die Ankündigung unseres aktuellen Veranstaltungs- und Weiterbildungsprogramms mit dem Abdruck von Originalbeiträgen: Texte aus unseren "Werkstätten" und denen unserer Freunde.

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Praxisadressen von Gestalttherapeuten/-innen

  Hier folgt der Abdruck eines Beitrages aus Gestaltkritik 1/2012:

Anke und Erhard Doubrawa
Schattenarbeit für Gestalttherapeutinnen und -therapeuten
Ein Vortrag

Anke und Erhard Doubrawa (Foto: Horst ter Haar, 2011 im GIK)
Anke und Erhard Doubrawa (Foto: Horst ter Haar, 2011 im GIK)

Dieser Vortrag wurde im Rahmen der Gestaltkritik-Jahrestagung 2011 (9. – 10. 9. 2011) gehalten. Wir veröffentlichen hier den Originalvortragstext. Manche Formulierungen wirken nicht „schriftgerecht“. Wir bitten, das zu entschuldigen.
Während des Vortrags haben wir unsere Zuhörerinnen und Zuhörer zur Selbsterforschung zum Thema „Schatten“ eingeladen. Und nun möchten wir auch Sie, liebe Leserinnen und Leser, dazu einladen.

 

Selbsterforschung am Anfang

Bevor wir mit unserem Vortrag beginnen, möchten wir Euch ganz herzlich zu einer Selbsterforschung einladen. Wir werden Euch vier Fragen stellen – eine nach der anderen. Und wir bitten Euch, Eure Antworten aufzuschreiben. Wir denken an max. drei Minuten Zeit für jede Frage. Im Laufe unseres Vortrags werden wir auf diese Fragen zurückkommen. Und Ihr werdet Euch dann Euren Antworten noch einmal zuwenden. Jeder für sich.

 

Selbsterforschungsfragen zum Thema Schatten

In Deinem Privatleben:

1. Welchen Menschen bewunderst oder verehrst Du? Wegen welcher Fähigkeiten, Eigenschaften oder Verhaltensweisen?

2. Wer bewundert oder verehrt Dich? Wegen welcher Fähigkeiten, Eigenschaften oder Verhaltensweisen?

In Deinem professionellen Leben:

3. Welchen Menschen bewunderst oder verehrst Du? Wegen welcher Fähigkeiten, Eigenschaften oder Verhaltensweisen?

4. Wer bewundert oder verehrt Dich? Wegen welcher Fähigkeiten, Eigenschaften oder Verhaltensweisen?

 

Der Begriff des psychologischen Schattens

Der Begriff des psychologischen Schattens ist kein originär gestaltisches Konzept. Er entstammt vielmehr der Analytischen Psychologie C.G. Jungs.

Warum beschäftigen wir Gestalttherapeutinnen und Gestalttherapeuten uns mit dem Thema „Schatten“?

Es gibt mehrere Antworten auf diese Frage:

1. Der Begriff Schatten gehört zu unserer Alltagssprache und benennt das, was wir gar nicht oder nicht gut sehen können und gar nicht oder nicht gerne sehen wollen.

2. Wenn Gestalttherapie für etwas besonders bekannt geworden ist, dann dafür: Die nicht integrierten Anteile zu integrieren. Dazu dienen die berühmt-berüchtigten Gestaltmethoden/-techniken von Fritz Perls, die er vor allem in seinen letzten Lebensjahren in Esalen, dem Zentrum der amerikanischen Human-Potential-Bewegung, angewandt hat: z.B. die Arbeit mit zwei Stühlen, die den inneren Dialog unterstützen soll, die Identifikation mit Traumteilen, die Arbeit mit Übertreibungen, die Arbeit mit Polaritäten.

(Erinnern wir uns: Es waren Demonstrationssitzungen der Gestalttherapie; fast so, als würde sie auf einer Bühne inszeniert. Fritz Perls liebte das Schauspiel. Schon als junger Mann hat er kleinere Rollen am Max-Reinhardt-Theater in Berlin gespielt.)

Und so mag es nicht verwundern, dass Ken Wilber in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre in seinem Buch „Das Spektrum des Bewusstseins: Eine Synthese östlicher und westlicher Psychologie“ (1) zur Bearbeitung des Jungschen Schattenkonzept die Perls’sche Gestaltarbeit empfiehlt.

Auch unser gemeinsamer langjähriger Lehrer und Supervisor Hunter Beaumont hebt die Nähe dieser beiden so unterschiedlich scheinenden Ansätze – Analytische Psychologie und Gestalttherapie – hervor: Hunter hatte Ende der 1960er Jahre die Gestalttherapie durch eine Veranstaltung mit Jim Simkin kennengelernt. Damals war Hunter „sicher, dass die Jungianer ohnehin schon alles wussten, was man über Psychotherapie wissen sollte. Trotzdem“, so berichtet Hunter weiter, „irgendwie faszinierten mich sein [Jim Simkins] Vortrag und die Demonstrationen, und so [...] wurde ich neugierig auf diese Gestalttherapie. Ich ging zu [dem Gestalttherapeute]) Bob Resnick in Therapie und musste sehr bald eingestehen, dass die Gestalttherapie das, worüber die Jungianer sprachen, praktisch besser umsetzte“ (2).

3. Erhard hat von einer Weiterbildung die Empfehlung für Bücher des amerikanischen Jungianers Robert A. Johnson mitgebracht. Einige seiner Bücher waren auch in Deutschland in den 1990er Jahren Bestseller. Sie sind heute leider nur noch antiquarisch erhältlich. Und leider sind die zum Thema „Arbeit mit dem Schatten“ überhaupt nicht ins Deutsche übersetzt worden. Das Lesen der Bücher von Johnson hat einem bestimmten Phänomen, das wir in der Gestalttherapie die Projektion nennen, mehr Bilder, mehr Sprache und lebendige Erfahrungen gegeben, die für unsere Arbeit und auch für das Denken über die Arbeit sehr anregend waren. Johnson schreibt über „Owning your own Shadow“ [etwa: „Den eigenen Schatten in Besitz nehmen“] (3), „Inner gold: Understanding Psychological Projection“ [etwa: „Das innere Gold – wie wir psychologische Projektionen verstehen können“. Die deutsche Ausgabe dieses Buches bereiten wir z.Zt. vor. Sie wird im Spätsommer 2012 in unserer Edition des Gestalt-Instituts Köln (GIK) im Peter Hammer Verlag erscheinen. Bitte senden Sie uns eine Mail, damit wir Sie über das genaue Erscheinungsdatum informieren können: gik-gestalttherapie@gmx.de] (4) u.a.. In diesen Büchern beschäftigt er sich mit dem, was C.G. Jung den Schatten genannt hat. Und er berichtet davon, wie er diesem Phänomen in seinem Leben begegnet ist, und wie er dieses Phänomen in der Arbeit mit seinen Klienten erlebt hat. Seine Texte haben sehr anregend auf uns und unsere Arbeit gewirkt, und das wollen wir Euch hier zur Verfügung stellen.

Anke Doubrawa (Foto: Horst ter Haar, 2011 im GIK)
Anke Doubrawa (Foto: Horst ter Haar, 2011 im GIK)

Was ist der „Schatten“? Oder: Der Individuationsprozess in der ersten Lebenshälfte

Dazu ein Zitat von C.G. Jung: „Will der Arzt einem Patienten helfen, so muss er ihn in seinem Sosein annehmen können. Er kann dies aber nur dann wirklich tun, wenn er zuvor sich selber in seinem Sosein angekommen hat. Das klingt vielleicht sehr einfach. Das Einfache ist aber immer das Schwierigste. [...] Dass ich den Bettler bewirte, dass ich dem Beleidiger vergebe, dass ich den Feind sogar liebe im Namen Christi, ist unzweifelhaft hohe Tugend. Was ich dem geringsten unter meinen Brüdern tue, das habe ich Christo getan. Wenn ich nun aber entdecken sollte, dass der Geringste von allen, der Ärmste aller Bettler, der Frechste aller Beleidiger, ja der Feind selber in mir ist, ja dass ich selber des Almosens meiner Güte bedarf, dass ich mir selber der zu liebende Feind bin, was dann? Dann dreht sich in der Regel die ganze christliche Wahrheit um, dann gibt es keine Liebe und Geduld mehr, dann sagen wir zum Bruder in uns ‚Raka’ [‚Hohlkopf’], dann verurteilen und wüten wir gegen uns selbst. Nach außen verbergen wir es, wir leugnen es ab, diesem geringsten in uns je begegnet zu sein, und sollte Gott selber es sein, der in solch verächtlicher Gestalt an uns herantritt, dann hätten wir ihn tausendmal verleugnet, noch ehe ein Hahn gekräht hätte“ (5).

Für uns beschreibt Jung in diesem Zitat sehr deutlich, wie wir mit dem umgehen, was wir an uns „nicht haben wollen“. Das, was zu dem gehört, das nicht sein darf, was zu dem gehört, das verboten ist, was zu dem gehört, das vermeintlich zum Ausschluss aus der Gemeinschaft führt. Ihr alle werdet sowohl eine Ahnung davon haben, was gemeint ist! Als auch werdet ihr keine Ahnung haben, worum es bei Euch geht, genauso wie wir beide auch – denn es geht ja um das Unbewusste.

Der Begriff „Schatten“ kommt aus dem Indogermanischen „Skot“ und bedeutet „dunkel“. Und so meint Schatten alles, was wir im Dunkeln unserer Persönlichkeit mit uns herumtragen. Haltungen, Einstellungen, Verhaltensweisen zumeist, die wir nicht zeigen durften, bzw. meinten nicht zeigen zu dürfen.

Und um über den Jungschen Schattenbegriff sprechen zu können, müssen wir noch zwei weitere Begriffe aus seiner Analytischen Psychologie einführen: „Individuation“ und „Persona“, die zu dem Schatten untrennbar dazu gehören:

Jung schreibt: „Individuation bedeutet: zum Einzelwesen werden, und, insofern wir unter Individualität unsere innerste, letzte und unvergleichbare Einzigartigkeit verstehen, zum eigenen Selbst werden. Man könnte ‚Individuation’ darum auch als ‚Verselbstung’ oder als ‚Selbstverwirklichung’ übersetzen“ (6).

Die Lebensaufgabe des Menschen, so Jung, ist es, das Individuum zu werden, das der jeweilige Mensch werden kann. Und zwar unter den gegebenen Möglichkeiten – der „Ausstattung“ des Einzelnen und der jeweiligen Mit- und der Umwelt. C.G. Jung hat dabei zwei Individuationsprozesse unterschieden – den der ersten und den der zweiten Lebenshälfte.

Im Individuationsprozess der ersten Lebenshälfte geht es darum, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, damit man den typischen Aufgaben der ersten Lebenshälfte gerecht werden kann – das Sichern der Existenz, das Dazugehören zu sozialen Gruppen, die Befriedigung zumindest der Grundbedürfnisse, Elternschaft (auch im übertragenen Sinn). Damit dies gelingen kann, ist eine erhebliche Anpassungsleistung an die (vermeintlichen) Erfordernisse der Um- und Mitwelt, der Familie, Sippe, Gesellschaft erforderlich.

Dabei bildet sich die „Persona“ heraus – der Begriff bedeutet „Maske“. Aber, es wäre nicht angemessen, wenn wir ihn abwertend gegen uns (und andere) benutzen würden – so als wären wir ausschließlich maskierte, maskenhaft erscheinende Wesen. Nein, der Begriff Persona ist von seinem Ursprung her durchaus positiv: Er bezeichnet die Maske, die der Schauspieler in der griechischen Tragödie anlegt, um ganz der Rolle, die er zu spielen hat, gerecht zu werden, sich dieser ganz hinzugeben und die eigene Person und seine Persönlichkeit dabei herauszuhalten.

„Der Begriff Persona [...] bezieht sich in der Analytischen Psychologie auf den nach außen dargestellten Aspekt der Persönlichkeit, auf die Schnittstelle zwischen dem einzelnen und seiner Um- und Mitwelt.“ (7) „[Die Persona] ist ein Kompromiss zwischen Individuum und Sozietät über das, ‚als was einer erscheint’. Er nimmt einen Namen an, erwirbt einen Titel, stellt ein Amt dar, und ist dieses oder jenes.“ (8).

Die Persona ist unser Schutz. Sie zeigt, was von uns willkommen ist (auch: was wir meinen, was willkommen ist). Im Schatten hingegen liegt, was nicht willkommen ist (oder von dem wir annehmen, dass es nicht willkommen ist). Und das sind alle Eigenschaften, Fähigkeiten, Gefühle, Gedanken, Phantasien und Handlungen, die von der jeweiligen Kultur und Gesellschaft als negativ und sogar destruktiv angesehen werden: z.B. Egoismus, Hass, Eifersucht, Rachsucht, Neid, Habgier, Geiz, Hochmut, „aber auch die verschiedenen Aspekte des menschlichen Wesens, die jemand im Laufe seiner Erziehung und Entwicklung als nicht zu sich gehörig anzusehen gelernt hat weil sie ihm schlecht, fehlerhaft, minderwertig, verboten oder tabuisiert vorkommen (ohne es in jedem Fall auch wirklich sein zu müssen)“ (9).

Also nicht nur „negative Aspekte“ werden in den Schatten verbannt. Sondern durchaus auch „positive Aspekte“ – „es werden auch sehr viele Seiten in den Schattenbereich gedrängt, die kostbar und positiv sind, die aber irgendwann als schlecht, ungehörig, unverschämt und sündig dargestellt und mit negativen Aussagen verbunden worden sind. Dazu gehören beispielsweise Neugier und Kreativität, Mut, Eigensinn, Autonomie, Selbstbehauptung, Fantasie oder Sexualität“ (10).

Zum Individuationsprozess der ersten Lebenshälfte ist uns ein Lied des Liedermachers und Sängers Klaus Hoffmann eingefallen – aus dem wir einige Zeilen vorlesen möchten: „Die Mittelmäßigkeit“. Hier einige Textauszüge:

Jeden Morgen das gleiche Ritual.
Jeden Morgen ein Gesicht in gleicher Qual.
Jeden Morgen dieses Fügen vor dem Spiegel und im Bus.
Jeden Morgen die Fragen, ob ich will und ob ich muß.

Jeden Tag im Mantel gleiche Haltung.
Jeden Tag meine Meinung aus der Zeitung.
Jeden Tag das Wissen um Veränderung.
Jeden Tag in mir die gleiche Lähmung. [...]

Die Mittelmäßigkeit
verhindert jeden Streit.[...]

Soll ich in der Mitte stehn?
Soll ich keine Fragen stelln?
Soll ich denn im Rahmen bleiben,
jeden Streit vermeiden?

Geh ich allem aus dem Weg,
noch eh der Kampf beginnt,
haben andre schon, was ich denken soll, bestimmt.
Die Mittelmäßigkeit verhindert jeden Streit.

Soviel zum Individuationsprozess der ersten Lebenshälfte. Weiter nun zu dem der zweiten Lebenshälfte:

 

Das kann doch nicht alles gewesen sein – oder: Der Individuationsprozess in der zweiten Lebenshälfte

„Mit dem Erreichen einer vornehmlich gesellschaftlich bedingten Identität und der Erfüllung der zur Sicherung und Aufrechterhaltung der Gesellschaft erforderlichen Leistungen ist für viele Menschen der Lebenssinn realisiert, ihr Leben spielt sich in den gesellschaftlich vorgegebenen Bahnen ab. Das Bedürfnis nach Sicherheit und einem geordneten Lebensablauf wird vorherrschend, sie spüren wenig Veranlassung, nach Alternativen und Lebenssinn zu suchen. Die gesellschaftlichen Angebote zur weiteren Lebensgestaltung zielen nicht auf Persönlichkeitserweiterung und -wandlung ab, sondern auf eine Wiederholung und Variation des bereits Bekannten und Gegebenen.

Aber Menschen stellen sich auch in der Lebensmitte und danach, meist wachgerüttelt durch eine Not oder Krise, die bange Frage, wie es jetzt weitergehen soll. Wie könnte nun der Weg für den aussehen, der aus Not, aus Neigung oder Lebensfreude den Prozess der Individuation weitergehen möchte? Während die Persönlichkeits-Entwicklung in der ersten Lebenshälfte fast notwendigerweise mit der Abspaltung und dem Unbewusstlassen ganz bestimmter Selbstanteile verbunden ist, kommt es nun zu einem umgekehrten Prozess, in dem sich der Mensch den unbewusst gebliebenen Selbstanteilen aussetzt und sich von ihnen erweitern und relativieren lässt“ (11).

Lebensmitte: Nach Jung im Alter von 35 Jahren. Heute gehen wir eher von 50 Jahren aus (und z.T. erheblich später).

Auch hierzu ist uns ein Lied eingefallen – diesmal vom Liedermacher und Sänger Wolf Biermann: „Das Lied vom donnernden Leben (Das kann doch nicht alles gewesen sein)“.

Das kann doch nicht alles gewesen sein,
das bisschen Sonntag und Kinderschrein,
das muss doch noch irgendwo hingehn, hingehn.

Die Überstundn, das bisschen Kies
und aabns inner Glotze das Paradies
da in kann ich doch keinen Sinn sehn, Sinn sehn.

Das kann doch nicht alles gewesen sein
das muss doch noch irgend was kommen!
neinda muss doch noch Leebn ins Leebn, eebn.

He, Kumpel, wo bleibt da im Ernst mein Spaß?
Nur Schaffn und Raffn und Hustn und Hass
und dann noch den Löffl abgebn, gebn.

Das soll nun alles gewesen sein
das bisschen Fußball und Führerschein
und das war nun das donnernde Leebn, Leebn.

Ich will noch 'n bisschen was Blaues sehn
und will noch paar eckige Rundn drehn
und dann erst den Löffel abgebn, eebn.

Robert Bly, der durch sein Buch „Eisenhans“ bekannt geworden und eine wichtige Rolle in der Männerbewegung Ende der 1980er Jahre / Anfang der1990er Jahre – der Antwort auf die Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre – gespielt hat, spricht von einem dunklen unansehnlichen Sack, den wir hinter uns herziehen. In den wir all das gesteckt haben, was nicht willkommen war. Und wir haben vergessen, was wir hineingesteckt haben. Und haben den Sack in unserer ersten Lebenshälfte überhaupt vergessen. Und nun, in unserer zweiten Lebenshälfte, geht es darum, immer wieder einen Teil, einen Aspekt, eine Eigenschaft, eine Verhaltensweise aus diesem Sack herauszuholen und wieder zu uns zu nehmen, damit wir, wenn wir dann sterben müssen, das als möglichst vollständige Wesen tun (12). Es geht dabei nicht um die Vollständigkeit von dereinst, die Vollständigkeit aus unserer Kindheit, es geht um eine kritische Schau und kritische Integration, es geht darum, das Gold aus dem Schatten in Besitz zu nehmen. Und nach Jung sind 90 Prozent des Schattens schieres Gold.

Kurz von mir, Erhard Doubrawa, persönlich: Solange ich damit beschäftigt war, meinen Platz im Leben zu suchen, zu erkämpfen, zu halten, war ich mir meiner abgespalten Teile, meiner nicht gelebten Eigenschaften und Fähigkeiten nicht bewusst. Doch dann, als ich alles erreicht hatte – sogar mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte – stellten sich Zeiten der Schwermut und Antriebslosigkeit ein. Das war wahrscheinlich die Zeit, wo ich begann, Wolf Biermanns Lied „Das kann doch nicht alles gewesen sein“ anders zu hören und anders zu verstehen. Nicht nur als ein gesellschaftspolitisches Thema, sondern als mein zutiefst eigenes Thema: Mein Lebensthema zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben.

Das kann doch nicht alles gewesen sein ... Und was kommt jetzt? Wie, das soll alles so weitergehen? Bis zur Rente? Das ist die Lebensphase, in der meine Freunde sich haben scheiden lassen – Fast alle ... in der meine Freunde Depressionen entwickelt, den Job hingeschmissen haben, Selbstmordphantasien hatten, Alkohol eine immer wichtigere Rolle spielte, Angst vor lebensbedrohlichen Krankheiten auftauchten, solche sich häuften: Herzerkrankungen, Krebs ...

Ich glaube inzwischen, dass das mit der langsam schwindenden Kraft und Lebensenergie zu tun hat, der geringeren Belastbarkeit, der geringeren Leistungsfähigkeit: Dass da dann weniger Kraft auch fürs Verdrängen des Abgespaltenen übrig bleibt. „Ich bin total erschöpft“, hat neulich einer meiner Klienten am Beginn der Sitzung gesagt. Das war er wirklich. Und sein Widerstand auch: Zum ersten Mal hat sich bei ihm in der Therapie etwas grundlegendes bewegen, zeigen können; Gestalt annehmen können. So wie bei alten Menschen jetzt auf einmal die Kriegserinnerungen aus der Kindheit wieder auftauchen. Fast eine Art „psychischer Alters-Inkontinenz“: Männer z.B. werden rührseliger in dieser Zeit, Tränen der Rührung oder des Schmerzes fließen auf einmal häufiger, als wäre da weniger Kraft, diese zurückzudrängen. Die abgespaltenen und in den Schatten verdrängten Teile melden sich, tauchen auf, verstärkt durch die nun deutlicher werdende Begrenztheit des Lebens: Unsere Endlichkeit, der unabwendbare und sich stetig nähernde Tod.

Johnson schreibt, dass nur das steigende Gewahrsein unserer Schattenqualitäten uns helfen kann, zu einem wirklich erfüllten Leben zu finden.

 

Der zweiteilige Individuationsprozess noch einmal in ganz anderen Worten:

Im Anfang war alles vollständig, ganz, heil, eine Einheit. Kinder haben, besonders ganz am Anfang ihres Lebens, eine besondere Präsenz, die uns mit Ehrfurcht erfüllt, ein Lichtstrahl des Paradieses, des Gartens Eden, der Zeit vor dem Sündenfall, der Zeit vor der „Unterscheidung“. „Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander“ (1. Buch Mose 2, 25). Eine Zeit der Unschuld. Und da, mitten im Paradies, ist der Baum mit der Frucht der Erkenntnis. Die Schlange sagt: „Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.“ (1. Buch Mose, 3,5). Es verlockt, klug zu werden. Sie essen also von der Frucht. „Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz“ (1. Buch Mose, 3,7).

In der ersten Hälfte des Lebens – nach Jung die erste Phase der Individuation – geht es darum, einen guten Platz im Leben zu finden: eine Arbeit, die einen ernährt, einen Ehepartner, der zu einem passt, vielleicht ein Haus zu bauen, Kinder in die Welt zu setzen und aufzuziehen, Zugehörigkeit zu Gemeinschaft und Gesellschaft zu finden.

Und alle Teile der Persönlichkeit – alle Eigenschaften und Fähigkeiten – werden diesem Ziel untergeordnet. Das macht verständlich, dass im Schatten nicht nur die sogenannten negativen Eigenschaften und Fähigkeiten sind, sondern auch positive Eigenschaften und Fähigkeiten, die dem Ziel der ersten Phase der Individuation entgegenstehen, z.B. Neugier, künstlerische Neigungen, weibliche Qualitäten beim Mann, männliche Qualitäten bei der Frau. Auch diese, würden sie weiter gelebt, würden dem Ziel der ersten Lebenshälfte entgegenwirken und es gefährden. Eine künstlerische Neigung z.B. gefährdet das Ziel, einen Beruf zu wählen, der „Hand und Fuß“ hat. Neugier macht uns zu selbständig und gefährdet das Lernen des Vorgegebenen (Vorgeschriebenen).

Diese Teile – positive und negative – werden abgespalten und in den Schatten verbannt. Dieser Vorgang der Spaltung durchzieht nun alle Lebensbereiche und wird zum vorherrschenden Lebensprinzip. Dualismus (Zweiheit, Polarität) bestimmt uns sehr tief: Entweder-oder, richtig oder falsch, wertvoll oder wertlos, angemessen oder unangemessen, oben oder unten. Spaltung bestimmt unseren Blick auf uns und die Welt: Haben oder Sein, Mann oder Frau, Innenwelt oder Außenwelt, Gott oder Mensch.

Unsere Schatten und ihre Inhalte sind uns nicht bewusst. Wir kennen unseren eigenen Schatten nicht. Sätze wie „Gier ist eben mein Schatten ...“ machen keinen Sinn, weil ein erkannter Schatten keiner mehr ist, sondern schon Bewusstheit.

Jemanden (z.B. als Therapeut den Klienten) auf seinen negativen Schatten aufmerksam zu machen, ist ein undankbarer Job und meist vergebene Liebesmüh. Entweder streitet unser Gegenüber nur ab, dass er diesen Schatten hat. Oder er ist richtig ärgerlich auf uns, dass wir so etwas über ihn sagen. Und „fortgeschrittene“ Klienten, gewohnt an psychotherapeutische Terminologie, sprechen nicht selten davon, dass wir eine Übertragung auf sie hätten. Sie sagen, es wäre in Wirklichkeit nur unser eigener Schatten, den wir auf sie projizieren.

Das hat unseres Erachtens damit zu tun, dass das Prinzip der (Ab-)Spaltung uns in Leib und Blut übergegangen ist. Was ich an Eigenschaften und Fähigkeiten nicht habe haben dürfen, weil diese die Ziele der ersten Phase der Individuation gefährdet hätten, das liegt nicht mehr in meiner Bewusstheit. Sprichwörtlich: Aus den Augen, aus dem Sinn. Was nicht zu meiner Persona gehört, das nehme ich an mir auch nicht mehr wahr. Ich projiziere diese auf mein Gegenüber. Ken Wilber beschreibt, dass man Projektionen deutlich an der eigenen Affiziertheit beim Denken oder Sprechen erkennen kann. Wenn ich mich über bestimmte Verhaltensweisen / Eigenschaften anderer Menschen aufrege, kann man davon ausgehen, dass ich 98 Prozent dieser Eigenschaft / Verhaltensweisen bei mir selbst finden kann.

Wir haben eine Persona-Seite und eine Schatten-Seite. Robert A. Johnson schlägt vor, sich die beiden Seiten verbunden wie bei einer Wippe vorzustellen. „Wir werden das Erwachsenalter mit einem klar definierten Ego und einem ebensolchen Schatten erreichen, einem System von richtig und falsch, einer Wippe mit zwei Seiten“ (13). „Dies ist eine von Jungs größten Einsichten: Dass Ego und Schatten aus derselben Quelle kommen und sich genau ausgleichen. Licht zu machen bedeutet Schatten zu schaffen, keines von beiden kann ohne den anderen existieren“ (14).

Unsere Aufgabe ist es, das Gleichgewicht zu halten. Wir alle kennen die Redewendung „aus dem (seelischen) Gleichgewicht sein“. Wir müssen wissen, dass wir – nach den Worten des hl. Augustinus – nicht handeln können, ohne zu sündigen. Das heißt, dass wir, um das Gleichgewicht dieser Wippe zu erhalten, genauso viel Energie auf der jeweils anderen Seite aufwenden. Wenn ich ein Gut verwirkliche, etwas Wertvolles schaffe, dann schaffe ich gleichzeitig auch ein ebenso großes Gegengewicht im Schatten. Und dieses sucht sich seinen Weg in die Wirklichkeit ... schleicht sich in die Wirklichkeit – ohne mein Gewahrsein.

Ich kann meinen Schatten nicht direkt anschauen. In meinen Projektionen kann ich ihn ent-decken und er-schließen. Wenn ich am anderen meine eigenen negativen Seiten mit starken Emotionen (shadow fighting) ablehne, kann ich meinen Schatten erahnen. Auch, wenn ich am anderen meine eigenen positiven Seiten bewundere und verehre, ebenso verbunden mit starken Emotionen (shadow hugging), habe ich die Möglichkeit, meinem Schatten zu begegnen.

Meist auch, wenn ich mich verliebe. Der andere kommt mir dann wie ein Seelenverwandter vor. Kein Wunder, ich sehe ihn ja auch nicht, wie er ist. Ich sehe (fast) nur meine Projektionen auf ihn. Meine eigenen Qualitäten, meine eigenen Eigenschaften und Fähigkeiten fallen mir an ihm/ihr auf. Sie oder er trägt dann das von mir, was ich selbst (noch) nicht tragen darf oder kann.

Sich in der Lebensmitte neu zu verlieben, ist wirklich keine Seltenheit. Dann entdecke ich meine eigenen, bisher nicht zu mir und meinem Leben gehörenden Teile am anderen. Ich beginne zu erahnen, was ich bisher entbehrt habe. In dem, was ich mit dem anderen – in den ich mich verliebt habe – glaube, erleben zu könnten (an Glück, an Lebensqualität, Kultur, Leidenschaft, Sexualität o.ä,), leuchten meine eigenen Qualitäten (Eigenschaften und Fähigkeiten) auf, für die ich nun langsam bereit werde.

Den eigenen negativen Schatten und auch den eigenen positiven Schatten, das eigene Gold am anderen wahrzunehmen, ist der Beginn einer religiösen Erfahrung. Mit den Worten von Robert A. Johnson: „Der religiöse Prozess besteht darin, die Ganzheit der Persönlichkeit wiederherzustellen. Das Wort Religion bedeutet wieder-verbinden, etwas wieder zusammenzufügen, die Wunden der Trennung zu heilen. Wir müssen [...] unsere in Einzelteile zerfallene, entfremdete Welt wieder zusammenzubringen. Wir müssen [in unserer ersten Lebenshälfte] den Garten Eden verlassen, aber wir müssen auch das Himmlische Jerusalem errichten [in unserer zweiten Lebenshälfte]“ (15).

Die Lebensaufgaben in der zweiten Lebenshälfte, der zweiten Phase der Individuation sind: eine bewusste Einheit herstellen, eine bewusste Ganzheit als Voraussetzung für Heilsein schaffen. Es geht um die Vereinigung der Gegensätze, um die im Schatten geborgene und gebundene negative Energie „anzuzapfen“ und sie nicht unzensiert und zügellos auszuagieren. Sie sollte vielmehr für die Verwirklichung „höherer“ Werte genutzt werden. Das Kind hat die Ganzheit gelebt – eine undifferenzierte Ganzheit. Jetzt geht es wieder um Ganzheit – eine differenzierte Ganzheit.

Anke und Erhard Doubrawa (Foto: Horst ter Haar, 2011 im GIK)
Anke und Erhard Doubrawa (Foto: Horst ter Haar, 2011 im GIK)

Das Gold im Schatten / Das Gold aus dem Schatten

„Wenn Jung sagt, dass der  Schatten zu 90% aus reinem Gold bestehe, dann meint er“, so Dieter Schnocks, damit auch „dass mit der dauernden Abwehr des Schattens ein Grossteil seelischer Energie verbraucht wird, die für die Kreativität und Lebendigkeit viel besser verwendet werden kann“ (16).

Im Folgenden wird es nun um diese kostbaren und positiven Seiten gehen, um das Gold aus dem Schatten.

Nach Johnson geben wir unsere positiven Qualitäten, unser inneres Gold an jemand anderen, wenn wir noch nicht in der Lage sind, es selber zu tragen. Wenn uns unser eigenes Gold noch zu schwer ist, heften wir es einem anderen projektiv an. Oft schwärmen wir für diese Menschen, und wir bewundern sie, oder wir verlieben uns in sie. Bei Kindern kann man das manchmal so deutlich erleben, wenn sie „ihren“ Star oder „ihren“ Helden haben.

Hier kommen wir zurück zu den Fragen, auf die ihr zu Beginn geantwortet habt. Bitte schaut noch einmal auf eure Zettel: wen habt Ihr aufgeschrieben, bei der Frage, wen ihr bewundert oder verehrt. Und was habt ihr mit den Qualitäten zu tun, die ihr an ihm oder ihr verehrt? Und wenn es sich für euch nicht erschließt, was Ihr mit den bewunderten Qualitäten zu tun habt, hilft eventuell die folgende Frage: Was ist das tiefere Anliegen dieser Fähigkeit oder Eigenschaft?

Um den Prozess der Goldübertragung ganz ins Gewahrsein zu nehmen, wäre folgende Geste notwendig: Ich müsste zu der Person, die ich bewundere, sagen: „Ich habe Dir mein inneres Gold gegeben. Kannst Du es eine Weile für mich tragen?“ Aber der Gedanke, das zu tun, ist eigenartig. Und es passt nicht in unsere Kultur der Beziehungsgestaltung. Wir sind eher verlegen, wenden uns ab, sind aufgeregt im Kontakt mit dieser Person und reden manchmal sogar Unsinn. Aber die freundliche Begegnung mit unseren heimlichen Goldträgern ist oft energetisierend und belebend. Die Begegnung, in der unser Goldträger uns nicht freundlich zugewandt ist, hingegen kann zur großen Qual werden.

Dazu Robert A. Johnson: „Ich habe meinen Weg mit einer Reihe von ,Goldträgern‘ gemacht. Mit der Hilfe von Helden, bin ich wie ein Alpinkletterer vorangegangen: ich habe meinen Haken über mir eingeschlagen, mein Seil gesichert, mich dann selber zu dem Haken emporgezogen und ihn so erreicht. Jeder von uns, ist bis zu einem bestimmten Grad durch den Austausch von Gold an den Punkt gekommen an dem er/sie gerade ist“ (17).

Deutlich daran wird, dass wir alle Goldträger brauchen um uns an ihnen auszurichten. Für jemanden das Gold zu tragen, ist eine Kunst und eine hohe Verantwortung. Und hier liegt eine Aufgabe für die therapeutisch, beraterisch, pädagogisch und seelsorgerisch Tätigen. Wie kann ich das Gold, das mir anvertraut wird, angemessen tragen und zu gegebenem Zeitpunkt, manchmal schon in Sekundenschnelle zurückgeben? Wie kann ich es tragen, ohne es als Aufwertung meiner Selbst und damit zur Befriedigung meiner narzisstischen Bedürfnisse zu nehmen und damit das Zurückgeben verhindern?

Viele Erfahrungen mit unseren Klientinnen und Klienten und mit unseren Trainees und Supervisanden sind uns während der Beschäftigung mit diesem Thema durch den Sinn gegangen.

Ich denke z.B. an eine Klientin, die mich (Anke Doubrawa) für meine „Freundlichkeit und Herzlichkeit“ so übermäßig bewundert und verehrt hat. Immer wieder ist sie mit diesen Komplimenten mit mir in Kontakt gegangen. Daraufhin habe ich viel mit ihren Kontrollbedürfnissen und ihrer Angst gearbeitet. Im Rückblick glaube ich nicht, dass das falsch war. Wenn ich die Prozesse von damals jedoch durch die heute gewählte Brille betrachte, habe ich ihre Bewunderung für meine Freundlichkeit nicht als Ausdruck ihrer eigenen Freundlichkeit genommen und für sie verwahrt, sondern habe das völlig übersehen. Und damit habe ich ihr „Gold“, das mit Sicherheit dort auch verborgen war, nicht genommen und gehütet.

Wenn uns ein Klient/ eine Klientin mit Bewunderung begegnet, reicht es nicht aus, einfach zu sagen: „Das ist Projektion, das gehört zu Dir“. Damit nehme ich das Gold meines Klienten nicht entgegen – und ich bewahre es nicht für ihn. Ich muss es zu mir nehmen, ohne es persönlich zu nehmen!!

Johnson erzählt eine kleine Geschichte, die einen solchen Prozess liebevoll beschreibt: Er erzählt von einem jungen Klienten, der ihn von Beginn der Therapie an verehrte, ihm immer wieder Komplimente machte, ihm immer wieder versicherte, wie glücklich er sein könne, ihn, Mr. Johnson als Therapeuten zu haben. Johnson beschreibt, dass er von Anfang an, diesen Komplimenten mit Antworten begegnet ist wie: „Und das ist Dein inneres Gold, das Du mir gerade anvertraust. Im Moment brauchst Du noch jemanden, es für Dich zu tragen.“ Johnson betont, dass dieser Klient auch ein sehr heller Kopf war, der diesen Prozess intellektuell verstehen konnte. Nach etwa fünf Jahren begann der Klient zu sagen, er wolle nun sein inneres Gold zurück haben. Und Johnson bringt eine kleine Goldmünze als Symbol dafür in die Arbeit. Und ab da geht zwischen den beiden Männern eine kleine Goldmünze hin und her, bis zu dem Moment, wo die Therapie beendet ist, und der Klient die Münze – zusammen mit seinem inneren Gold – mitnehmen kann.

Zurück zu den Fragen, die ihr am Anfang beantwortet habt: Wegen welcher Qualitäten bewundert oder verehrt Dein Gegenüber Dich? Wegen welcher Qualitäten bewundert oder verehrt Dein Klient/Deine Klientin Dich? Wie leuchten diese Qualitäten in ihr/ihm schon auf?

Wir kommen zum Ende unserer Ausführungen. „Der Schatten läuft hinter uns her“, sagt der Mystiker Rumi. „Egal, wie schnell wir laufen, wir können ihn nicht abschütteln. Er holt nicht einfach nur auf ... Manchmal ist er auch vor mir ... Schneller als ich ...“ (18).

Dass der Schatten hinter uns herläuft, hat einen tiefen Sinn: Er wünscht sich, von uns wieder aufgenommen zu werden. Er sehnt sich nach Integration.

Das Gold im Schatten bergen ... sich dem Schatten als Goldsucher zuwenden ... schürfen im Schatten ... freiwillig, oder wenn wir unseren Schatten in flagranti erwischen, notgedrungen ... ein alchemistischer Prozess ... Gold aus dem dunklen Metall Blei gewinnen ... ein eigentlich seelischer Prozess ...

Der Gewinn an Energie, die bisher für Fernhalten und Verdrängen drauf ging ... an Stress mit den Folgen des Schattens ... der Projektion und ihren Folgen für andere und dadurch für mich ... diese Kraft konstruktiver einsetzen zu können ... und schließlich all die positiven Qualitäten ... die erst dann aufsteigen können, aus dem Schatten, wenn wir uns unseren negativen Schattenanteilen zuzuwenden begonnen haben ... die negativen sind uns erfahrungsgemäß geheurer ... die positiven ungeheurer ... und deshalb meist auch viel schwieriger zu uns zurückzunehmen, sie zu integrieren ...

Wir danken für Eure Aufmerksamkeit!

 

Anmerkungen

(01) Vgl. Ken Wilber, Das Spektrum des Bewusstseins: Eine Synthese östlicher und westlicher Psychologie. Reinbek, 6. Auflage 2003, S. 201ff.

(02) Hunter Beaumont, Das Interview – Teil I: Gestalttherapie und die Seele, in: Gestaltkritik: Die Zeitschrift für Gestalttherapie, 2/1999, (Gestalt-Institut Köln GIK), http://www.gestalt.de/beaumont_interview_teil1.html

(03) Robert A. Johnson, Owning your own Shadow: Understanding the Dark Side of the Psyche. New York, 43. Auflage 2010.

(04) Robert A. Johnson, Inner Gold: Understanding Psychological Projection. Kihei/Hawai 2008 [Die deutsche Ausgabe dieses Buches bereiten wir z.Zt. vor. Sie wird im Spätsommer 2012 in unserer Edition des Gestalt-Instituts Köln (GIK) im Peter Hammer Verlag erscheinen. Bitte senden Sie uns eine Mail, damit wir Sie über das genaue Erscheinungsdatum informieren können: gik-gestalttherapie@gmx.de]

(05) Carl Gustav Jung, Gesammelte Werke, Band 11: Zur Psychologie westlicher und östlicher Religion. Ostfildern, 3. Auflage 2011, S. 347f. [§ 519f.].

(06) Carl Gustav Jung, Gesammelte Werke, Band 7: Zwei Schriften über Analytische Psychologie. Ostfildern, 3. Auflage 2011, S. 183 [§ 266].

(07) Bernd Leibig, Persona, in: Lutz und Anette Müller (Hg.), Wörterbuch der Analytischen Psychologie. Düsseldorf und Zürich 2003, S. 315.

(8) Carl Gustav Jung, Gesammelte Werke, Band 7: Zwei Schriften über Analytische Psychologie. Ostfildern, 3. Auflage 2011, S. 166 [§ 246].

(09) Dieter Schnocks, Schatten, in: Lutz und Anette Müller (Hg.), Wörterbuch der Analytischen Psychologie. Düsseldorf und Zürich 2003, S. 367.

(10) ebd., S. 368.

(11) Lutz Müller, Individuationsprozess: Zweite Lebenshälfte, in: Lutz und Anette Müller (Hg.), Wörterbuch der Analytischen Psychologie. Düsseldorf und Zürich 2003, S. 198f.

(12) Vgl. Robert Bly, Die dunkle Seite des menschlichen Wesens. München 1993, 29ff.

(13) Robert A. Johnson, Owning your own Shadow: Understanding the Dark Side of the Psyche, New York, 43. Auflage 2010, S. 8f. [Aus dem Amerikanischen von Katja Süß und Gerhard Will.]

(14) Ebd., S. 17.

(15) Ebd., S. 9.

(16) Dieter Schnocks, Schatten, in: Lutz und Anette Müller (Hg.), Wörterbuch der Analytischen Psychologie. Düsseldorf und Zürich 2003, S. 368.

(17) Robert A. Johnson, Inner Gold: Understanding Psychological Projection. Kihei/Hawai 2008, S. 11 [Aus dem Amerikanischen von Anke und Erhard Doubrawa.]

(18) Vgl. Rumis Gedicht „Enough Words“, in: The Essential Rumi, Translated by Coleman Barks, New Jersey 1997, S. 20f. [Aus dem Amerikanischen von Anke und Erhard Doubrawa.]

Praxisadressen von Gestalttherapeuten/-innen

Anke und Erhard Doubrawa (Foto: Horst ter Haar, 2011 im GIK)
Anke und Erhard Doubrawa (Foto: Horst ter Haar, 2011 im GIK)

Anke Doubrawa, 1963, Gestalttherapeutin, Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin BDP in privater Praxis in Köln. Vorstandsmitglied des Gestalt-Instituts Köln (GIK).

Erhard Doubrawa,1955, Gestalttherapeut, Diplom-Sozialpädagoge und Diplom-Pädagoge, Gründer und Leiter des Gestalt- Instituts Köln (GIK), Herausgeber der Gestalttherapie-Zeitschrift "Ge- staltkritik", private Praxis in Köln.

Im Peter Hammer Verlag edieren Anke und Erhard Doubrawa eine Reihe zur Theorie und Praxis der Gestalttherapie.

Buchveröffentlichungen von Erhard Doubrawa u.a.: "Die Seele berühren: Erzählte Gestalttherapie", sowie (gemeinsam mit Stefan Blankertz) "Einladung zur Gestalttherapie: Eine Einführung mit Beispielen" und "Lexikon der Gestalttherapie".

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