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Bärbel Wardetzki
Kränkungen am Arbeitsplatz


Aus der Gestaltkritik 1-2007

Gestaltkritik - Die Zeitschrift mit Programm aus den GIK Gestalt-Instituten Köln und Kassel
Gestaltkritik (Internet): ISSN 1615-1712

Themenschwerpunkte:

  • Gestalttherapie und ihre Weiterentwicklung
  • Gestalttherapie als spitiuelle Suche
  • Gestalttherapie als politische Praxis

Gestaltkritk verbindet die Ankündigung unseres aktuellen Veranstaltungs- und Weiterbildungsprogramms mit dem Abdruck von Originalbeiträgen: Texte aus unseren "Werkstätten" und denen unserer Freunde.

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 Hier folgt der Abdruck eines Beitrages aus der Gestaltkritik 1-2007:

Bärbel Wardetzki
Kränkungen am Arbeitsplatz

 

Foto: Bärbel WardetzkiBärbel Wardetzki

In Zeiten unsicherer Arbeitsplätze steigen die zwischenmenschlichen Konflikte und das Kränkungspotenzial am Arbeitsplatz. Menschen fühlen sich ungerecht behandelt und kritisiert, bekommen einen neuen Chef vor die Nase gesetzt, der Ihre bisherige Arbeit nicht wertschätzt, werden durch Umstrukturierungen im Betrieb zurückgestuft oder sind mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Diese und viele andere Situationen können kränken und das Selbstwertgefühl der Betroffenen schwächen. Kränkungen am Arbeitsplatz sind aber nicht nur ein persönliches Problem, sondern können sowohl die Zusammenarbeit stören als auch das Leistungsniveau mindern und Arbeitsgruppen sprengen. Ein konstruktiver Umgang mit Kränkungen dient daher nicht nur der Wiederherstellung des persönlichen inneren Gleichgewichts, sondern auch der ­Lösung aktueller Konflikte in der Zusammenarbeit.

 

Wie reagieren wir, wenn wir gekränkt sind?

Stellen Sie sich vor, Sie haben sich viel Mühe mit der Ausführung einer Arbeit gegeben und diese wird nun von Kollegen oder dem Chef verrissen, obwohl Sie mit Lob oder Anerkennung gerechnet haben.

Fühlen Sie sich dadurch gekränkt, könnte folgendes passieren: Im ersten Moment erschrecken Sie und können nicht glauben, was Sie gerade hören. Sie sind wie gelähmt, schockiert und es fällt Ihnen schwer, schlagfertig zu parieren. Stattdessen spüren Sie eine tiefe Enttäuschung, aber auch Wut über die Ablehnung. Vielleicht schämen Sie sich sogar, dass Sie versagt haben und trauen sich nicht mehr, den anderen in die Augen zu schauen. Innerlich reagieren Sie trotzig nach dem Motto: „Dann macht doch euren Kram alleine. Ohne mich!“ Sie wollen alles hinschmeißen, am liebsten gleich kündigen, die anderen sitzen lassen. Ihre Rache­fantasien kennen keine Grenzen. Sie fangen an, die anderen zu verachten, weil die eh keine Ahnung haben und gar nicht verstehen, wie viel Mühe Sie sich gegeben haben.

Je mehr Ihr Herz an dieser Arbeit hängt und je mehr Ihre Selbstachtung von einem gelungenen Ergebnis abhängt, umso stärker wird Ihre Kränkungsreaktion ausfallen. Sie sind dann unversöhnlich, verlassen möglicherweise die Sitzung oder sagen die restliche Zeit nichts mehr. Sie entwickeln eine ablehnende Haltung Ihren Kollegen, Vorgesetzen und Untergebenen gegenüber und gehen auf Versöhnungsangebote der anderen nicht ein. Kränkungsgefühle wie Ohnmacht, Wut, Verachtung, Enttäuschung, Traurigkeit und Trotz bis hin zum inneren oder äußeren Beziehungsabbruch können mitunter sehr lange anhalten und Ihre Selbstwahrnehmung und die Beziehung zu den anderen bestimmen.

Den meisten Menschen fällt es schwer, im Moment der Kränkung klare Gedanken zu fassen und Einfälle zu entwickeln, wie sie ihre Position vertreten und ihre Arbeit „verteidigen“. können. Die besten Argumente fallen ihnen leider viel zu spät ein. Auch auf Besänftigungen wie: „Das war doch nicht so gemeint“ oder Entschuldigungen wie: „Sorry, wollte dich nicht treffen. Du bist halt viel zu empfindlich“ reagieren sie nur mürrisch und fühlen sich erneut missverstanden. Denn keiner sieht, wie schlimm es für Sie ist. „Ich bin es nicht wert, dass sich jemand die Mühe macht, mich zu verstehen.“ Damit geraten Sie in eine Opferrolle.

 

Dramadreieck und Eskalation

Kränkungsreaktionen spielen sich ebenso wie Mobbing-Prozesse in einem Dramadreieck psychologischer Spiele ab, in dem der Gekränkte sich zum Opfer macht und den so genannten „Kränker“ zum Täter stempelt. Diesem wird die Schuld am eigenen Leid zugeschoben, was als legitime Begründung für Bestrafungsaktionen des „Täters“ herhalten muss. Die Schuldfrage kann nun unendlich lange hin- und hergeschoben werden, da sich jeder im Recht fühlt und keiner die Veranlassung sieht, versöhnlich auf den anderen zuzugehen. Denn das wäre eine erneute Demütigung und Schwächung des Selbstwertgefühls. Im Laufe des Konflikts kommt es womöglich zu immer häufigeren und stärkeren Verletzungen, am Ende gar zu einem heftigen Streit.

Doch die Kategorie Schuld führt nicht zu einer Klärung des Konflikts, sondern zur Eskalation.

„Der Dialog gerät zum Streitgespräch, dieses wiederum zur harten Auseinandersetzung. Emotionen heizen die Szene an: Empörung und Wut, Hass und Verachtung. Die Gegner verkeilen sich in einem Abtausch von Angriff und Gegenangriff ineinander. Es kommt zu Verletzungen – und ehe man es sich versieht, ist ein Krieg im Gange, in dem die Vernichtung des Gegners zum Hauptziel geworden ist. Am Schluss gibt es entweder einen Sieger und einen Besiegten - oder zwei Verlierer. Zurück bleiben immer die Schäden - im günstigsten Falle zerstörte zwischenmenschliche Beziehungen; im ungünstigsten Falle tote, körperlich verletzte und seelisch geschädigte Menschen, ruinierte Siedlungen, verbrannte Erde. (Doppler/Lauterburg S. 370).

Die Beendigung des Opfer-Täter-Spiels gelingt durch das Unterlassen der Schuldzuschreibungen an die Kollegen, Vorgesetzten und Untergebenen. Werden sie aus der Rolle der „Buhmänner“ entlassen, mildern sich Empörung, Beleidigt-Sein, Grollen oder sogar der Wunsch, es ihnen heimzuzahlen. Ebenso ist es notwendig, sich nicht selbst als schlecht zu verurteilen oder als Versager/in abzustempeln, sondern stattdessen eine konstruktive Form der Selbstreflexion in Gang zu setzen. Denn nicht selten bieten Menschen sich unbewusst durch Worte, Gesten oder Haltungen für Angriffe oder Entwertungen an. Erkennen sie diese Muster bei sich, entwickeln sie einen kompetenten „Kränkungsschutz“.

 

Besonderheiten von Kränkungen am Arbeitsplatz

Kränkungen am Arbeitsplatz sind nicht nur ein persönliches Problem, sondern haben einen direkten Einfluss auf die Qualität der Zusammenarbeit und das Leistungsniveau des Einzelnen wie auch des Teams. Sie gefährden den Erhalt der Arbeitsgruppe, der Arbeitsplätze oder möglicherweise sogar der Institution als Ganzer. Auch wenn Kränkungen immer nur persönlich erlebt werden, darf man die Tragweite ihrer Wirkung auf die Arbeitssituation nicht unterschätzen. Denn wenn Kränkungsgefühle unkontrolliert ausagiert werden, müssen wir damit rechnen, dass sie großen emotionalen Schaden anrichten können.

Leidet beispielsweise der Vorgesetzte unter der größeren fachlichen Kompetenz eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin, und lässt dieser/diese ihn noch dazu seine/ihre Überlegenheit spüren, dann verarbeitet er diese Tatsache womöglich als persönliche Entwertung, die in der Folge seine Führungsfunktion beeinträch­tigen kann. Entweder wird er sich beschämt zurücknehmen und das Feld diesem Mitarbeiter überlassen, also seine Führungsaufgaben indirekt abgeben, oder er wird aus einem Minderwertigkeitsgefühl heraus die Zügel zu stark anziehen und autoritär signalisieren, wer „hier der Chef ist.“ Wenn er daraufhin seine Mitarbeiter verstärkt kontrolliert oder ihnen sogar Kompetenzen und Entscheidungsspielräume entzieht, kann diese das verletzen und die Stimmung in der Abteilung verschlechtern.

 

Wir werden nicht einfach gekränkt

Meine These ist, dass Menschen nicht einfach gekränkt werden, sondern es einer Reihe von Bedingungen bedarf, um eine Kränkung zu erleben:

Voraussetzungen sind

  • eine Vulnerabilität, ein wunder Punkt
  • die Bereitschaft, dem anderen die Schuld am eigenen Elend zu geben
  • die Ablehnung der Verantwortung für die eigenen Gefühle
  • die Tendenz, Dinge persönlich gegen sich gerichtet zu erleben

Kränkungsreaktionen im Sinne des Sich-Entwertet-Fühlens sind subjektive Erlebnisse, die auf der Art und Weise beruhen, wie wir das Verhalten der anderen Person interpretieren.

Der Philosoph Epiktet hat diesen Sachverhalt schon vor über 2000 Jahren auf seine Art formuliert:

„Sei dir dessen bewusst, dass dich derjenige nicht verletzen kann, der dich beschimpft oder schlägt; es ist vielmehr deine Meinung, dass diese Leute dich verletzen. Wenn dich also jemand reizt, dann wisse, dass es deine eigene Auffassung ist, die dich gereizt hat. Deshalb versuche vor allem, dich von deinem ersten Eindruck nicht hinreißen zu lassen. Denn wenn

du dir Zeit zum Nachdenken nimmst,dann wirst du die Dinge leichter in den Griff bekommen.“(Epiktet, griechischer Philosoph, um 50-138 n.Chr.)

Wir selbst sind es, die entscheiden, ob eine Bemerkung, Handlung oder eine Unterlassung uns negativ berührt oder nicht, es ist nicht der andere. Auch kann ich keine Verantwortung dafür übernehmen, ob sich die andere Person abgelehnt fühlt oder nicht, die muss und kann nur sie selbst tragen. Das einzige, was ich machen kann, ist achtungsvoll mit anderen umzugehen. Aber ob und was an meinem Verhalten jemanden verletzt, kann ich weder vorhersehen noch vermeiden.

Wodurch sich andere Menschen gekränkt fühlen wissen wir nicht!

Im Berufsleben gibt es eine unbegrenzte Reihe von Situationen, die mit Kränkungsgefühlen beantwortet werden können: wenn jemand eine Stelle nicht bekommt, obwohl er/sie qualifiziert ist; wenn die eigene Leistung nicht ausreichend gewürdigt wird; wenn sich jemand bei Vorgesetzten kein Gehör für seine innovativen Einfälle verschaffen kann, wenn der Chef zu wenig lobt und vieles mehr.

Ob diese Anlässe jedoch als persönliche Kränkung verarbeitet werden, hängt von jeder einzelnen Person ab. Sie könnte auch mit Ärger, Protest oder Resignation reagieren oder sie einfach hinnehmen. Der persönliche Hintergrund und die bisherigen Berufserfahrungen beeinflussen die individuelle Kränkungsbereitschaft und die daraus resultierende Reaktion.

 

Situationen am Arbeitsplatz mit Kränkungspotential

Kränkungen entstehen meist dort, wo Mitarbeiter Sachkonflikte im Betrieb zu Beziehungskonflikten machen, indem sie sie persönlich nehmen, gegen sich gerichtet erleben und sich entwertet fühlen. Themen in der Zusammenarbeit wie beispielsweise Konkurrenz, Kritik, Diskriminierung, Ungerechtigkeiten, Machtunterschiede und Arbeitsplatzverlust besitzen ebenso ein Kränkungspotential wie organisatorische Strukturen. Dazu zählen unter anderem hierarchische Unterschiede, ein unkollegiales Arbeitsklima, eingeengte Kompetenz- und Entscheidungsbefugnisse, zu geringe Arbeitsanreize oder zu hohe Kontrolle. Abhängig von der Persönlichkeitsstruktur reagieren Menschen mehr oder weniger kompetent auf Einschränkungen oder Zurückweisungen. Hohe Ängstlichkeit, geringe soziale Kompetenz im Umgang mit anderen, Selbstunsicherheit, ein mangelndes Selbstvertrauen und geringe Durchsetzungsfähigkeit leisten der Kränkungsbereitschaft Vorschub.

 

Konkurrenz und Rivalität

Das Streben nach Erfolg, Einfluss, Geld und Karriere oder nur nach dem Erhalt des Arbeitsplatzes beinhaltet in sich schon Konkurrenz, denn in der Regel gibt es Mitbewerber um eine Stelle oder Anwärter auf den eigenen Posten. Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit wird Arbeit zu einem besonderen Gut, das oft mit allen Mitteln verteidigt wird. Das Kränkende an der Konkurrenz liegt für Viele nicht erst in der Verletzung durch den Gegner und seine unlauteren Mittel wie Schlechtmachen, Verleumden und Anschwärzen, sondern bereits in der Existenz von Konkurrenz an sich. Wer dies schon für eine Zumutung hält, für den bedeutet Konkurrenz ausschließlich die Einschränkung eigener Macht und Einflussmöglichkeiten durch die Konkurrenten (1), und eine Bedrohung seines Selbstwertgefühls.

Je nach Persönlichkeitsstruktur reagieren Menschen in einer solchen Situation entweder aus ihren Minderwertigkeitsgefühlen oder aus der Überheblichkeit heraus.

Im ersten Fall herrscht die Angst vor dem Versagen vor, die sich in Selbstzweifeln aus drückt: „Was, wenn der andere besser ist als ich? Ich werde es nicht schaffen, ihn zu übertrumpfen oder zumindest ihm standzuhalten. Ich verliere meine Macht und mein Ansehen“. Die Person bekommt Angst, wenn andere besser oder gleich gut sind und reagiert darauf mit verstärkter Anstrengung, weil sie glaubt, dass eine gleich gute oder bessere Leistung des anderen die eigene schmälert. Oder sie lässt sich einschüchtern und gibt vorschnell auf. Es kann daher leicht zu Kränkungen kommen, wenn es immer nur ein entweder Du oder Ich gibt und nicht ein Nebeneinander im Sine von: „Ich bin gut, auch wenn du gut bist.“

Die Reaktion aus der Überheblichkeit ist Empörung und Ablehnung: „Was bildet sich der andere ein, dasselbe anzubieten wie ich? Ich kann das doch sowieso besser! Ich werde ihm zeigen, dass ich der Erfolgreichere bin.“ Die Kränkung liegt in diesem Fall darin, dass sie nicht selbstverständlich als die Besten betrachtet werden, sondern sich anstrengen und um die Vormachtstellung kämpfen müssen. Was für eine Beleidigung!

Aus persönlichkeitsspezifischer Sicht ist Konkurrenzverhalten ein Ausdruck des Wunsches, gesehen, gehört, gelobt und verstanden zu werden oder sogar im Mittelpunkt zu stehen. Das sind Bedürfnisse, deren Erfüllung das eigene Selbstwertgefühl stärkt und die daher angemessen sind. In bestimmten Unternehmen, deren Arbeitsabläufe vorwiegend auf Effizienz ausgerichtet sind, möglicherweise unter großem Zeitdruck gearbeitet werden muss, wird diesen Bedürfnissen nicht ausreichend oder gar nicht Rechnung getragen. Viele Betroffene erleben das als persönliche Zurückweisung, Entwertung ihrer Arbeit oder Verunsicherung: „Mache ich es richtig oder bin ich falsch, weil mich niemand lobt?“ Je stärker die Selbstzweifel sind und je größer die innere Orientierungslosigkeit ist, umso stärker ist das Kränkungspotential einer solchen Arbeitssituation. Versucht dann noch ein Kollege oder eine Kollegin, sich auf Kosten der anderen ins rechte Licht zu setzen, kann das zu einem großen Konflikt führen. Durch die frustrierende Situation verun­sichert, gelingt es den Betroffenen nicht, sich zu wehren und die eigene Position zu verteidigen. Ihnen bleibt nur der depressive Rückzug oder der Gegenangriff.

 

Kritik – Kränkung oder Feedback

Kritik im Sinne einer negativen Beurteilung unserer Person, unserer Fähigkeiten und unserer Leistungen besitzt ein hohes Kränkungspotential, da aufgezeigte Fehler und Unzulänglichkeiten unser Selbstwertgefühl beeinträchtigen. Je geringer das Selbstwertgefühl ist, desto stärker wird eine Person gekränkt auf Kritik reagieren, denn wenn die narzisstische Beeinträchtigung sehr groß ist, kann es durch Kritik zu einer vollständigen Selbstentwertung kommen.

Da Kritik immer die Selbsteinschätzung berührt, ist es besonders wichtig, konstruktiv mit ihr umzugehen, um die Selbstunterstützungsprozesse zu stärken. Es muss beispielsweise nicht jede Kritik „geschluckt“ werden, bevor sie auf ihren Inhalt und ihre Rechtmäßigkeit hin geprüft wurde. Ist eine Kritik nicht angemessen, kann sie selbstbewusst zurückgewiesen werden. Statt sich verletzt und gedemütigt zurückzuziehen und sich für schlecht und dumm zu halten, kann der Kritisierte versuchen, die Kontroverse durch Richtigstellung oder Gegenargumente zu lösen. „Ich fühle mich missverstanden durch das, was ihr kritisiert habt.“ Nicht jede Einschätzung der anderen über einen selbst muss nämlich stimmen.

Andererseits kann eine Kritik wichtige Informationen für uns bereithalten, was wir an unserer Arbeit oder unserem Verhalten verbessern können. Doch auch das erfahren wir nur durch sorgsame Prüfung des Gesagten.

Probleme im Beruf entstehen häufig dadurch, dass Mitarbeiter sich von Chefs oder Kollegen ungerechtfertigt kritisiert fühlen. Obwohl sie in ihren Augen gute Arbeit leisten, wird diese entweder nicht gewürdigt oder schlecht gemacht. Wenn es den Betroffenen nicht gelingt, sich Gehör zu verschaffen und ihre Arbeitsleistung zu verteidigen, wird mit der Zeit ihr Selbstwertgefühl immer angegriffener, da die Kritik ihr Selbstvertrauen untergräbt

Was könnte hinter einer ungerechtfertigten Kritik durch Mitarbeiter stecken? Möglicherweise eine Rivalität: Die unrechtmäßige Kritik soll den beneideten Kollegen schwächen und schlechter dastehen lassen, mit dem Ziel, mehr Anerkennung für sich selbst zu bekommen.

Eine ungerechtfertigte Kritik basiert andererseits häufig auf dem Mechanismus der Projektion, durch die die eigene Schwäche zur Schwäche des anderen wird. Die Kritik hat dann weniger mit der Leistung oder den Fehlern des Mitarbeiters zu tun, als mehr mit der eigenen, unreflektierten Unzulänglichkeit.

Gelingt es nicht, in einem Gespräch dem Chef oder Kollegen klar zu machen, wie Sie seine ständige, ungerechtfertigte Kritik erleben und dadurch den Konflikt zu lösen, rate ich der betroffenen Person, sich Unterstützung in einem Coaching zu holen, um die spezielle Dynamik zwischen sich und dem Vorgesetzten oder Kollegen aufzuschlüsseln. Zum einen können Sie dann erkennen, welche Motivation hinter dem Verhalten des anderen steht, zum anderen aber auch eigene Anteile an dem Konflikt aufdecken. Nur diese können Sie selbst verändern und dadurch neue Handlungsstrategien entwickeln. Wenn Sie lernen, einerseits Kritik konstruktiv mitzuteilen und anderseits erhaltene Kritik für sich nutzbringend anzunehmen, ist der Kränkung durch Kritik ein Teil des Bodens entzogen.

 

Umgang mit Informationen

Die Weitergabe oder das Zurückhalten von Informationen kann eine weitere Ursache für Kränkungen am Arbeitsplatz bedeuten. Wie wir aus der Mobbing Forschung wissen, leiden Betroffene vor allem unter unzureichenden Arbeitsaufträgen und Informationsverweigerung. Wie hoch der Stellenwert von klarer Kommunikation und Informationsvermittlung ist, zeigt eine Studie von Panse und Stegmann aus dem Jahr 2000. (2) Demnach leiden

43,9% der befragten Manager unter der Angst vor Fehlinformationen. Sie sprechen von der „Waffenqualität“ von Informationen, da durch ihren gezielten Einsatz Freunde belohnt und Feinde bestraft werden. Mit dem geschickten Einsatz und Weglassen von Informationen können unliebsame Konkurrenten ausgeschaltet und Kunden geworben werden.

Die Wirkung der Informationsweitergabe oder –zurückhaltung betrifft alle Sparten eines Unternehmens und alle Gehaltsgruppen. Für Führungskräfte mag es noch verheerender sein, nicht informiert zu werden, als für die Sekretärin oder den Ausfahrer. Doch auch sie können ohne gezieltes Wissen keine Entscheidungen treffen beziehungsweise mit falschen Informationen sogar viel Schaden anrichten.

Keine oder falsche Informationen zu bekommen kann emotional äußerst demütigend wirken und mit dem Gefühl verbunden sein, unbedeutend zu sein. Es schließt einen aus, man kann nicht mehr mit den anderen mithalten oder sie sogar anführen, man ist „kalt“ gestellt und es kommt bei den Betroffenen schnell der Gedanke auf, nicht mehr gewollt zu sein. Und in vielen Fällen haben sie damit auch Recht.

Auf der anderen Seite kann die Weitergabe von Information aber auch negativ wirken, wenn Mitarbeiter beispielsweise über Neuerungen oder Veränderungen empört, hysterisch oder aggressiv urteilen. Dann bekommen sie zwar die Information, fühlen sich aber dennoch verletzt. Das heißt, sowohl die Weitergabe von Information als auch das Zurückhalten kann Miss­trauen, Empörung und Kränkungsgefühle bei den Mitarbeiten zu Folge haben. Das macht Führen so schwer, weil das eine immer so richtig sein kann, wie sein Gegenteil.

 

Kränkung durch drohenden Stellenabbau, Umstrukturierungen und Arbeitslosigkeit

Ebenso wie Stelleneinsparungen lösen auch Umstrukturierungen Unsicherheit und Ängste bei den Mitarbeitern aus. Vor allem dann, wenn sie nicht über den Ablauf und den Hintergrund dieser Maßnahmen informiert werden, Entscheidungen über ihren Kopf hinweg getroffen werden und sie keine Mitsprachemöglichkeit bekommen. Entweder sie lassen sich auf den neuen Posten ein oder sie müssen kündigen. Das löst unterschiedliche Gefühle aus, kann aber auch zu Kränkungsreaktionen führen.

In Zeiten steigender Arbeitslosenzahlen und Sozialreformen, die die Massen auf die Straße treiben, rückt die Angst der Betroffenen immer mehr in den Vordergrund. Die seelische Seite von Arbeitslosigkeit wird bei den sozialpolitischen Entscheidungen weitgehend außer Acht gelassen, obwohl die Rate der Depressionen unter Langzeitarbeitlosen sehr hoch ist. Den Arbeitsplatz zu verlieren, weil man entlassen wird, die Firma Konkurs anmeldet, man Rationalisierungen zum Opfer fällt oder man wegen zu großer körperlicher oder seelischer Belastungen oder sogar aufgrund einer Mobbingsituation selbst kündigt, ist für Menschen ein extremer Stressor. Vor allem auch deshalb, weil bei der momentanen Beschäftigungslage befürchtet werden muss, langzeitarbeitslos zu bleiben und nicht in absehbarer Zeit wieder eine gut bezahlte und zufrieden stellende Arbeit zu finden. Das Faktum, noch keine neue Stelle gefunden oder zumindest in Aussicht zu haben, wird häufig als persönliches Versagen verarbeitet und mit Selbstvorwürfen und Gefühlen von Minderwertigkeit beantwortet.

Arbeitslosigkeit wird als demütigend und entwertend erlebt, ist mit dem Gefühl der Wertlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, ohnmächtigen Wut bis hin zur Resignation verbunden. Arbeitslosigkeit kränkt die Würde des Menschen, lässt ihn unnütz erscheinen und widerspricht den gängigen Werten, leistungsfähig, erfolgreich und nützlich sein zu wollen.

Bei der seelischen Verarbeitung von Arbeitslosigkeit scheint es jedoch auch individuelle Unterschiede zu geben, die in engem Zusammenhang mit dem Selbstwertgefühl stehen. So fanden Forscher (3) heraus, dass Menschen, die ein stärkeres Gefühl von Selbstwirksamkeit spüren, Arbeitslosigkeit eher ohne größere seelische Probleme bewältigen.

Man versteht unter Selbstwirksamkeit ein grundlegendes Gefühl von Stärke, Kompetenz und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Selbstwirksamkeit verhindert, durch Arbeitslosigkeit in Hilflosigkeit und Depression zu verfallen, die in den meisten Fällen auch auf die Familienangehörigen übergreifen. Fühlen sich die Arbeitslosen darüber hinaus unschuldig an ihrer Misere, schützt sie das zusätzlich vor seelischen Beeinträchtigungen.

 

Eine Kränkung ist noch kein Mobbing

Wenn ich von Kränkungen am Arbeitsplatz schreibe, dann komme ich am Thema Mobbing nicht vorbei. Dieser Begriff hat sich seit den 90er Jahren immer mehr etabliert, ist jedoch nicht unumstritten. Gab es nicht schon immer Beleidigungen, Ausgrenzungen, Verleumdungen und Intrigen im Berufsalltag? Mein Eindruck ist, dass Menschen häufig Konflikte am Arbeitsplatz unüberlegt als Mobbing bezeichnen, die keines sind. Das vorschnelle Etikettieren von Konflikten als Mobbing scheint für die Lösung jedoch nicht immer dienlich, da es das Problem noch verschärfen kann. Statt sich auseinanderzusetzen, wird der andere schon im Voraus als Täter verurteilt und die eigene Situation als Opferstatus definiert. Einen Begriff für ein Phänomen zu haben ist verführerisch, denn man meint, damit die Ursache für einen Konflikt zu kennen, obwohl vielleicht ganz andere Hintergründe eine Rolle spielen, zum Beispiel Rivalität. Spekuliert jemand auf die eigene Stelle und versucht gezielt, immer mehr Verantwortung zu übernehmen, um unentbehrlich zu werden, kann das bei einem selbstunsicheren Menschen zu dem Gefühl der Bedrohung und Entwertung führen. Zum Mobbing kann es kommen, wenn diese Person der Kollegin/dem Kollegen gegenüber keine klaren Grenzen zieht und ihr nicht deutlich macht, dass sie sich nicht aus ihrem Job drängen lässt, sondern sich in eine Opferposition manövriert und davon ausgeht, dass sie sich nicht wehren kann und am Ende doch den Kürzeren ziehen wird.

Der Beginn einer Situation, die zu einem Mobbing eskalieren kann, ist häufig ein ungelöster Kränkungskonflikt mit Kollegen oder Vorgesetzten. Von Seiten der gekränkten Person wird die erlittene Entwertung als persönlicher Angriff interpretiert. Wenn sie aus der Verletzung heraus entweder passiv, trotzig, beleidigt, verweigernd, oder aggressiv reagiert, verhindert sie eine konstruktive Konfliktlösung und provoziert unbewusst weitere Angriffe. ­Eine Eskalation des Konflikts beginnt, die gewalttätig enden kann, wie es für viele Mobbingfälle zutrifft. Es kann aber auch infolge erlittener Kränkungen zum Mobbing kommen, wenn der Gekränkte sich für die Angriffe oder Entwertungen rächt und versucht, dem Kränkenden zu schaden.

Doch die Betroffenen sind nicht nur hilflos ausgeliefert, sondern können zumindest versuchen, sich zu wehren. Und das am besten frühzeitig und sachlich angemessen. Denn wenn erst einmal die negative Spirale in Gang gesetzt ist, wird es immer schwerer, sie zu stoppen. Wird eine Person in einem Betrieb bereits in der Rolle der Gemobbten wahrgenommen, wird ihr als stigmatisiertem Problemfall die soziale Unterstützung mehr und mehr entzogen, was sie durch ihre Opferposition oder möglicherweise ihr unangemessenes Verhalten zusätzlich unterstützt. Dadurch gelingt es ihr kaum noch, ein klärendes Gespräch zu führen, mit wem sollte sie es auch tun? Ist der Konflikt schon weit fortgeschritten, kann ein Gespräch sogar schaden. Denn in diesem Fall erfährt sie keine Unterstützung, da keiner mehr an einer Lösung interessiert ist. Auch die Vorgesetzten sind nicht mehr bereit, sich für sie einzusetzen, denn jeder will sie am liebsten nur loswerden. Hilfe bieten in diesem Fall nur noch außerbetriebliche Einrichtungen wie Mobbing-Beratungsstellen oder ein Coaching.

„Tritt Mobbing dagegen sofort (nach Arbeitsantritt) auf, könnte man vermuten, dass in der Organisation bereits ein Konflikt existierte, der nun von der gemobbten Person ausgebadet werden muss.“ (4) In diesem Fall gerät die betroffene Person in eine Sündenbockrolle, die mehr mit dem System zu tun hat als mit ihr.

In jedem Fall halte ich es für notwendig, sich mit dem eigenen Kränkungspotential vertraut zu machen und zu lernen, Kränkungen konstruktiv zu begegnen. Dies verhilft zu einem guten Stand bei Kollegen und Vorgesetzten, dient aber auch einem kollegialen und fairen Umgang untereinander. Das sind Voraussetzungen, um Alltagskonflikte am Arbeitsplatz besser zu bewältigen und dadurch manches Mobbinggeschehen erst gar nicht entstehen zu lassen.

 

Persönlichkeitsprofile

Gibt es Persönlichkeiten, die eher zu Konflikten neigen und möglicherweise auch schneller gekränkt reagieren als andere? Diese Frage kann man mit ja beantworten. In der Konfliktforschung spricht man von der so genannten „konfliktträchtigen Persönlichkeit“ (5), sobald mehrere der unten genannten Merkmale vorliegen oder ein Merkmal in ausgeprägter Weise vorhanden ist:

 

  • Mangelnde Kontaktfähigkeit, geringe Flexibilität: Damit wird eine Person beschrieben, die eher kontaktscheu ist, sich wenig auf andere Menschen und deren Eigenheiten einstellen kann und wenig kompromissbereit und einsichtig ist.
  • Überzogener Ranganspruch, ­Geltungsstreben: Die Person strebt übermäßig nach Anerkennung und Bestätigung, mischt sich überall ein, übergeht und behindert dadurch andere und versucht sich unentbehrlich zu machen
  • Fehlende Frustrationstoleranz, ­geringe Belastbarkeit: Ein solcher Mensch kann schwer mit Enttäuschungen, Kritik und Zurückweisungen umgehen und braucht klare Regeln und Strukturen. Er wird durch fremde und unbestimmte Situationen leicht verunsichert und neigt zu vorschnellen und extremen Urteilen und Wertungen.
  • Überzogenes Konformitätsstreben, Ja-Sagertum: Diese Person richtet ihre Meinung, ihr Verhalten und ihre Grundsätze nach den anderen aus, passt sich an, widerspricht und kritisiert nur selten.
  • Pessimismus, Hoffungslosigkeit: Das Verhalten ist geprägt von schlechter Laune, Missmut und Resignation, von Nörgelei, Ablehnung und Abwertung der anderen, ihrer Ideen und Leistungen. Die Person neigt zum Jammern und zur Passivität.

 

Angst und Selbstunsicherheit sind wesentliche Bedingungen für eine hohe Kränkbarkeit. Dabei ist Angst ein schlechter Ratgeber, sowohl für Führungskräfte als auch für Mitarbeiter. Aus Angst resultieren oft Verhaltensweisen, die genau zu dem Problem führen, vor dem man Angst hat: Aus Angst vor Konflikten beispielsweise, wird eine Führungskraft Unstimmigkeiten im Team ignorieren, sich darum drücken, klare Zielvorgaben zu formulieren, zu wenig kontrollieren und Entscheidungsschwäche zeigen (6) und gerade dadurch viele Konflikte im Arbeitsteam hervorrufen. Weitere Auswirkungen auf das Arbeitsteam sind ein Gerangel um die Position des „heimlichen Leiters“, ein Vertrauens- und Autoritätsverlust des Chefs sowie eine Desorientierung der Mitarbeiter. Dadurch entsteht ein sehr hohes Konfliktpotenzial im Arbeitsteam, das durch Abwertungen und Nicht-Würdigung gekennzeichnet ist und kränkend erlebt wird, da keiner wirklich Anerkennung für seine Arbeitsleistung erhält. Vermeiden kann man ein solches Konfliktpotential in einem Arbeitsteam durch eine stringente Führung, bei der die Führungsposition eindeutig definiert ist und Konfliktlösungen ebenso Berücksichtigung finden wie Anerkennung.

Auf Seiten der Mitarbeiter zeigt sich selbstunsicheres und ängstliches Verhalten als Versuch, es allen recht machen zu wollen, um nicht anzuecken. Aber genau dadurch geraten sie häufig in Konflikt mit Kollegen und Vorgesetzten. Sie grenzen sich nicht klar ab und lassen sich zu viel Arbeit aufbürden, was irgendwann entweder zum Ausfall durch Krankheit oder zu unterschwelliger Aggression führt, weil sie sich ausgenutzt fühlen. Die mangelnde Fähigkeit oder die Angst davor, Grenzen zu ziehen und eigene Bedürfnisse auszudrücken, führt in der Konsequenz zu Kränkungen der eigenen Person, da diese Menschen ihre Wünsche abwerten zu Gunsten der vermeintlichen Ansprüche anderer. Sie entwerten jedoch auch die anderen, da sie kein wirkliches Interesse an ihnen haben, sondern hauptsächlich gut ankommen und von ihnen gemocht werden wollen.

Der beste Schutz, um Situationen nicht als Kränkungen zu verarbeiten und sich gegen Angriffe zu wehren sind daher: das Erlernen sozialer Kompetenz, der Fähigkeit, auf gleicher Ebene mit anderen umzugehen und dabei Autonomie zu wahren und Autorität zu zeigen, ohne die anderen zu unterwerfen.

Der zweite Baustein ist die Stabilisierung des Selbstwertgefühls, um im Umgang mit anderen weder nur klein beizugeben noch sich zu überhöhen, sondern um seine Stärken ebenso zu wissen wie um seine Grenzen.

Der dritte Faktor ist, die eigene Angst kontrollieren zu können, statt von ihr kontrolliert zu werden. Indem Sie sagen: „Das kann ich nicht, weil ich Angst habe“, verstecken Sie sich hinter Ihrem Gefühl und benutzen es als Begründung für Ihre Vermeidung. Damit geben Sie der Angst die Macht und Kontrolle über sich und Ihr Verhalten. Wenn Sie so argumentieren, müssen Sie sich im Klaren sein, welche Konsequenzen es hat. Es bedeutet eine Einschränkung Ihres Lebens und Ihrer Möglichkeiten. Sie schöpfen nicht aus der Fülle, sondern begnügen sich mit der Begrenztheit. Wenn Sie aber sagen: „Ich habe Angst und tue es trotzdem“, dann besteht die Möglichkeit, Ihre Ängste zu überwinden und neue Fertigkeiten zu entwickeln. Das gilt insbesondere für phobische Ängste wie Sprechangst oder die Angst, sich durchzusetzen. Es gibt natürlich auch Ängste, die der Behandlung bedürfen und dafür ist dieser Ratschlag nicht angemessen. Doch das Ziel ist auch in einer psychotherapeutischen Behandlung, die eigenen Ängste unter Kontrolle zu bringen, statt sich ihnen hilflos ausgeliefert zu fühlen.

 

Kränkungskompetenz

Der Umgang mit Kränkungen am Arbeitsplatz wird erleichtert durch eine gewalt- und kränkungsfreie Kommunikation, durch die Erhöhung der emotionalen und sozialen Kompetenz, durch Steigerung des Selbstwertgefühls und der Selbstwirksamkeit. Die Hilfe durch neutrale Dritte hat sich bei der Überwindung von Kränkungskonflikten bewährt, sei es durch unparteiische Freunde oder professionelle Therapeuten, Berater oder Coaches. Neben der Heilung seelischer Verletzungen als Ansatzpunkt von Kränkungsreaktionen helfen sie auch bei der aktuellen ­Lösung von Kränkungskonflikten und der Wiederherstellung des narzisstischen Gleichgewichts.

Unter Kränkungskompetenz verstehe ich die Flexibilität und Möglichkeit einer Person, ihre Emotionen bezogen auf Entwertungen soweit kontrollieren zu können, dass sie fähig ist, alternative Verhaltensweisen zur Kränkungsreaktion zu erlernen. Das bedeutet zugleich, die Verantwortung sowohl für das eigene Verhalten als auch die eigenen Gefühle und die Heilung des wunden Punktes zu übernehmen. Gerade der letzte Punkt setzt voraus, dass ein Mensch sich mit seiner Vulnerabilität vertraut macht.

Jede Kränkung hat eine Geschichte. Unverheilte Wunden als offene Gestalten bieten einen Ansatzpunkt für Entwertungen von außen. Je mehr ein Mensch seine Kränkungsthemen kennt, die Punkte weiß, wo er verletzlich ist, um so eher ist er fähig, dafür Sorge zu tragen oder sich Hilfe zu holen. Reagiert ein Arbeitnehmer auf Kritik sehr gekränkt, kann es sein, dass er Versagensängste hat, die ihn dazu bewegen, perfekt sein zu müssen. Die Konfrontation mit seiner Fehlbarkeit führt in die Nähe der kindlichen Verzweiflung, ohne gute Leistungen nicht anerkannt zu werden, nichts zu sein. Das schmerzt dermaßen, dass er versucht, eine Wiederholung der Situation zu vermeiden. Auf die Kritik des Chefs reagiert er mit einem starken Selbstwerteinbruch, seine Verzweiflung versteckt er hinter Empörung und Abwertung des Vorgesetzten. Könnte er seine Gefühle zulassen, über die erlittene Ablehnung als Kind weinen, seinem Ärger konstruktiv Luft machen, sich seiner Scham und Angst stellen, müsste er nicht mehr in Kränkungsreaktionen verstrickt bleiben. Er könnte auf diese Weise seine Wunden ernst nehmen und sich eine Chance der Heilung eröffnen.

Für Führungskräfte bedeutet Kränkungskompetenz dasselbe, zusätzlich haben sie die Verantwortung, für ein motivierendes und unterstützendes Arbeits­klima und einen reibungslosen Arbeitsablauf zu sorgen. Können sie Kränkungskonflikte erkennen, gelingt es ihnen leichter, nicht selbst in die Rolle des Helfers im Rahmen des Dramadreiecks hineingezogen zu werden. Das geschieht nämlich schnell. In diesem Fall wird er sich entweder auf die Seite des „Täters“ schlagen und das „Opfer“ bekämpfen oder das „Opfer“ unterstützen und den Aggressor anfeinden. In keinem Fall wird es ihm jedoch gelingen, aus einer eher unabhängigen Position heraus den Konflikt zwischen den Mitarbeitern anzusprechen und Lösungswege zu finden und eine Eskalation des Konflikts zu verhindern:

„Einen solchen (eskalierenden) Verlauf (von Konflikten) zu verhindern, ist unter Gesichtspunkten sowohl der menschlichen Ethik als auch der Ökonomie ein erst­rangiges Ziel. Die Fähigkeit, Konflikt­situationen rechtzeitig zu erkennen und so zu steuern, dass Veränderung möglich und gleichzeitig Schaden begrenzt wird, ist etwas vom Allerwichtigsten, was ein Manager heute für die erfolgreiche Aus­übung seines Berufes braucht.“

 

Literatur

Berkel, Karl: Konflikttraining. Konflikte verstehen, analysieren, bewältigen. Sauer Verlag Heidelberg 2002

Silbereisen/Forkel: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 3/2003

Doppler, Klaus/Lauterburg, Christoph: Change Management. Den Unternehmenswandel gestalten. Campus Verlag Frankfurt 2000.

Volk, Hartmut: Warum Angst am Arbeitsplatz immer mehr zum Thema wird. In: ComputerPartner, Fachzeitschrift für den IT-Handel. (2001) 7. Jahrgang, Heft 10, S. 54-56, Ruprecht, Göttingen 1983

Zapf, Dieter: Mobbing in Organisationen – Überblick zum Stand der Forschung. In: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie (1999) 43 (N.F. 17) 1, S. 1-25, Hogrefe Verlag Göttingen 1999

 

Anmerkungen

1 Team des Seelsorgeinstituts Bielefeld, Wege zum Menschen S. 6

2 Zit. nach Volk

3 Silbereisen/Forkel Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 3/2003

4 Zapf 1999 S. 4

5 Berkel S. 44f

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Zur Person:

Foto: Bärbel WardetzkiBärbel Wardetzki

Bärbel Wardetzki, Dr. phil., Dipl. Psych., Pädagogin M.A., Gestalttherapeutin und Familientherapeutin. Langjährige therapeutische Erfahrungen in der Psychosomatischen Klinik Grönenbach mit den Arbeitsschwerpunkten Sucht und Essstörungen. Seit 1992 arbeitet sie als Psychotherapeutin, Ausbilderin und Supervisorin in freier Praxis in München. Aus ihrer Arbeit entstand 1991 ihr Buch „Weiblicher Narzissmus. Der Hunger nach Anerkennung“ (Kösel-Verlag, München). Ihr zweites Buch über Essstörungen erschien 1996 ebenfalls im Kösel-Verlag: „Iss doch endlich mal normal. Hilfen für die Angehörigen von essgestörten Mädchen und Frauen.“ Seitdem hat sie mehrere Bücher zum Umgang mit Kränkungen veröffentlicht: u.a. „Kränkung am Arbeitsplatz. Strategien gegen Missachtung, Gerede und Mobbing“, „Mich kränkt so schnell keiner! Wie wir lernen, nicht alles persönlich zu nehmen“ (im Kösel-Verlag bzw. als DTV-Taschenbuch).

Bitte beachten Sie auch die Ankündigung von Bärbel Wardetzkis Workshop in unserem Weiterbildungsprogramm: „Weiblicher Narzissmus und Essstörungen“ (27. – 28. 4. 2007).

 

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