Cover: Die Nähe zum Tod macht großzügig

Stephen Schoen
Die Nähe zum Tod macht großzügig
Ein Therapeut als Helfer im Hospiz
Aus dem Amerikanischen von Ludger Firneburg
Herausgegeben und mit einem Geleitwort von Anke und Erhard Doubrawa

Der Psychotherapeut David hadert mit dem Altwerden. Er entscheidet sich, ehrenamtlich in einem Zen-Hospiz zu arbeiten, um sich mit Vergänglichkeit und Tod auseinanderzusetzen. David erfährt, auf welch unterschiedliche Weise Menschen dem Tod nahe sind. Und er lernt, dass die Nähe zum Tod großzügig macht: die Sterbenden, die Begleiter und nicht zuletzt auch ihn selbst.

gikPRESS 2019 (Neuauflage)
GIK Gestalt-Institute Köln & Kassel
112 Seiten , Paperback: 14,80 EUR, eBook: 9,99 EUR

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 Praxisadressen von Gestalttherapeuten/-innen

Und hier nun die Leseproben:

Geleitwort der Herausgeber
(zu Stephen Schoens »Die Nähe zum Tod macht großzügig«)

»Würden Sie sagen, dass er verrückt ist?« – »Ich weiß es nicht.« Und dann fügte ich hinzu: »Vielleicht hat die Nähe zum Tod ihn so großzügig gemacht.«

Das ist die Szene aus dem neuen Buch von Stephen Schoen, aus der der Titel für dieses wunderbare Buch entstanden ist. Der Protagonist Dave, ein alternder Psychologe und Psychotherapeut, trifft in einem Supermarkt einen ihm unbekannten jungen Mann, der ihm ein Geschenk macht. Es stellt sich heraus, dass der junge Mann ihm unbekannten Menschen Geschenke macht, seitdem er eine gefährliche Krankheit überlebt hat.

Stephen Schoen bringt die Leserinnen und Leser in diesem Buch in Kontakt mit den Themen Leben, Leiden, Vergänglichkeit, Sterben und Tod sowie mit verschiedenen Weisen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Er zeigt auf ermutigende Art, welche Möglichkeiten es gibt, sich diesen existenziellen Themen anzunähern, ohne von persönlichen Ängsten oder Annahmen überschwemmt zu werden.

Ebenso wie in seiner therapeutischen Arbeit mit Gruppen und mit Einzelnen, zeigt Stephen Schoen in diesem Buch auf vorsichtige und fast zärtliche Weise, wie es ist, für kurze Momente auf Konzepte und Annahmen zu verzichten und sich nur dem zuzuwenden, was wirklich gerade da ist.

Dabei wird die heilsame Wirkung von kontaktvoller Begegnung, die ihm so am Herzen liegt, auch in diesem Buch deutlich. Stephen Schoen bietet seinen Klienten immer wieder Kontakt an, der ihren Heilungsprozess unterstützt und häufig auch erst ermöglicht. Und seine Präsenz ist dabei stets freundlich, unaufdringlich und verlässlich.

Wir sind sehr froh, dass dieses neue Buch in unserer Edition des Gestalt-Instituts Köln im Peter Hammer Verlag erscheint. Stephen Schoen ist ein gern gesehener Gast, ein geschätzter Lehrtrainer in unseren Gestalttherapie-Ausbildungen und mehr noch: ein vertrauter, wertvoller, herzlicher Freund.

Dieses Buch ist sein drittes in unserer Edition, nach »Wenn Sonne und Mond Zweifel hätten. Gestalttherapie als spirituelle Suche« (1996, 3. Auflage 2004) sowie »Greenacres – Ein Therapieroman« (2002).

In allen seinen Büchern sind die Grundpfeiler der gestalttherapeutischen Haltung, die ihn persönlich ausmachen und die wir am Gestalt-Institut Köln schätzen, üben und trainieren, zu finden: Wohlwollen, Achtsamkeit und Begegnung.

Wir wünschen Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dass dieses Buch auch Ihr Herz erreicht.

Und wir wünschen unserem Freund alles Liebe und Gute.

 

Anke und Erhard Doubrawa,

Herausgeber

Gestalt-Instiut Köln / GIK Bildungswerkstatt

 

Vielleicht gehöre ich gar nicht hierher

(Leseprobe aus: Stephen Schoen, Die Nähe zum Tod macht großzügig. Ein Therapeut als Helfer im Hospiz)

Zu Beginn dieses Jahres haben wir uns hier versammelt, um der Toten zu gedenken. Oder vielleicht eher, um uns glücklich zu schätzen, dass wir noch am Leben sind?

Niemand spricht das aus. Aber der Raum strahlt Wohlstand aus und ist gleichsam eine Hymne an das Leben: der dunkelrote türkische Teppich; die bronzenen Leuchter – jeder mit drei soliden, aufrechten Armen, die pastellgrünen Stuckleisten am Deckenrand; die dunkle, hölzerne Buddhastatue, umhüllt und gekrönt – der Kopf umgeben von einer Art Lichtschein, an dessen Rand Feuerzungen zu tanzen scheinen, während seine rechte Hand zur Segensgeste erhoben ist. In den beiden Backsteinkaminen am vorderen Ende des Raumes lodert ein Feuer; und zwischen den Kaminen steht ein kleiner Tisch mit orange- und goldfarbenen Tüchern, auf denen fünfundachtzig Namenskärtchen mit den Namen all derer ausgebreitet liegen, die im letzten Jahr in diesem buddhistischen Hospiz gestorben sind.

Ja, selbst diese gefalteten weißen Namenskärtchen atmen eine sinnliche Schönheit und erinnern an Platzkarten anlässlich einer rituellen Feierstunde. Nur die Gesichter der siebzig stillen und schweigenden Männer und Frauen um mich herum, die diese Zeremonie begehen werden, wirken matt, selbstversunken und ein wenig glasig, so als habe ihre innere Sammlung das äußere Leben abflauen lassen. Und doch sitzen wir wachsam und aufrecht und achten auf unseren Atem – die meisten im Schneidersitz auf roten Meditationskissen, die auf dem Boden verteilt sind, einige wenige auch auf den im Halbkreis aufgestellten Stühlen.

Wie kommt es, dass die Konzentrierung der Energie sie gleichzeitig zu reduzieren scheint? Immerhin haben wir ja hier einen ganz besonderen, aktiven Dienst zu verrichten. Uns wurde gesagt, dass wir, wenn wir den Impuls verspüren, einzeln aufstehen, nach vorne treten und eine Karte vom Tisch nehmen sollten – egal, ob wir den Namen auf dieser Karte kennen, oder nicht –, um sie dann mit Achtsamkeit zu einer der Feuerstellen neben dem Tisch zu tragen, so als ob wir den Menschen, dessen Name auf der Karte steht, körperlich in Händen trügen. Dann wenden wir uns der Gruppe zu, sprechen den Namen laut aus und fügen ein paar eigene Gruß- und Abschiedsworte hinzu – oder schweigen.

»Terry, möge die Ruhe, die du nach deinen Worten nie gefühlt hast, jetzt zu dir kommen. Mögest du Frieden finden.«

»Alan, du warst weich und wunderbar. Auf dass wir uns wieder sehen!«

»Zao Huh! Nur dein Name!«

»Norman, du warst zäh und hast dich mir doch geöffnet. Mögest du Frieden finden.«

»Alex, du warst zu krank, um es zu wissen. Dank dir trotzdem für das Privileg, im Sterben bei dir sein zu dürfen. Ruhe in Frieden.«

»Davida, in deinem Leben hast du viel Leid gelindert. Mögest du das auch weiterhin tun.«

»Na Yong, mögest du deine wahre Natur erkennen?«

Danach wird die Karte ins Feuer gelegt.

Ich selbst werde nicht aufstehen. Ich habe diese hundert Menschen nicht gekannt, denn mein Praktikum in diesem Hospiz dauert nur ein paar Wochen – als Teil einer achtmonatigen Ausbildung. Keiner dieser Namen sagt mir etwas. Und doch bedeutet diese Zeremonie, sich an ein Leben zu erinnern und es dann endgültig zu beschließen, für mich eine seltsame Wendung. Ich habe gehört, die letzten Worte des Buddha seien gewesen: »Alle Dinge sind unbeständig.« Aber bei allem Mitgefühl für die Stimmen der Lebenden hier: wovon reden diese Menschen eigentlich? Habe ich nicht vor einer Minute einen Mann sagen hören »Auf dass wir uns wieder sehen!«? – Nach diesem letzten Ende im Feuer? Sehen? Und warum dankt die junge Frau für ein »Privileg«, wenn der Sterbende zu krank war, um zu wissen, was er ihr gab? Was hatte er für eine Wahl? Oder dankt sie ihm dafür, dass er nicht starb, bevor sie zur Arbeit kam? Eine komische Dankbarkeit? Überhaupt nicht, sie meinte das ganz ernst. Wieder nehmen sie Karten und sprechen:

»Judd Jones, ich vermisse dich! Mögest du Frieden finden.«

»Inez, wir sind uns nie körperlich begegnet. Aber im Geiste sind wir sicher eins. Ich wünsche dir Frieden.«

»Mikele! Mikele! Mikele! Mikele Retto!«

»Tony, du kamst ins Hospiz, nachdem du einige Kugeln in den Boden der Nachbarn über dir geschossen hattest, weil sie dich störten. Und dann starbst du bei uns nach einem plötzlichen Schlaganfall. Mögest du und deine Nachbarn Frieden finden.«

Jetzt – Lachen. Die Atmosphäre entspannt sich. Und hier, denke ich ein wenig berührt, es ist gut, dass Leben und Tod auf dieselbe Art geehrt werden. Aber all die anderen, sehr ernsten Reden von »Frieden finden« – als ob die Toten auf eine Insel der Gesegneten entschwunden wären! Wo soll das sein? Haben sie nicht den Frieden ebenso hinter sich gelassen wie den Schmerz? Sie sind erloschen. Man sagt doch auch nicht zu einer Kerze, die man gerade ausgeblasen hat: »Mögest du Frieden finden.« Und wen ehren wir hier eigentlich, nur durch das Aussprechen eines Namens, um wen geht es dabei? Doch nicht um jene, die unwiederbringlich gegangen sind. Nein. Der Verlust, den diese Männer und Frauen um mich herum empfinden, existiert in ihrem eigenen Leben; sie tragen die Trauer der Überlebenden. Sie haben bei den Sterbenden gesessen, mit ihnen gesprochen, haben versucht, ihnen Trost, Kraft und Beachtung zu schenken, und nun betrauern sie ihren Tod. Das verstehe ich. Sie übergeben dem Feuer ihre Erinnerung an den Verlust, sie verbrennen die Erinnerung, um sich von ihr zu befreien. Das heißt: nicht von der Erinnerung selbst wollen sie sich befreien, sondern von ihrer Last.

»Dave, mögest du Befreiung von deinen Qualen und Frieden finden.«

»Suzanne, mögest du immer singen!«

»Warren, ich glaube, dass du am Ende in die Berge gegangen bist. Mögest du Frieden haben.«

Und immer so weiter – bis keine Karte mehr übrig ist. Ich höre nicht mehr zu – oder nur noch eingehüllt in den hypnotischen Bann des Rituals. Dann, als es vorbei ist, werde ich wieder wach. Von hinten höre ich eine laute Stimme sagen: »Mögen diese und alle Wesen froh sein. Mögen diese und alle Wesen ihre wahre Natur erkennen.«

Da ist es wieder! »Diese Verstorbenen – alle Lebenden«: mit großem Ernst werden die vereinenden Worte noch einmal verkündet! Und dann löst sich die Gruppe auf, die Menschen gehen auseinander – anscheinend zufrieden mit dem, was hier gerade geschehen ist. Ich aber denke an die über achtzigjährige, an Alzheimer erkrankte Frau, die ich auf der Hospizstation gefüttert habe, und deren Augen aus ihrem ausgemergelten Gesicht heraus ins Leere starrten, während sie mit ihrem zahnlosen Mund schmatzend an einem Keks herumkaute: Wie sollte dieser verfallene Überrest eines menschlichen Lebens seine wahre Natur erkennen?

Die Buddhisten sagen, wir sollen uns von Urteil und Ablehnung befreien und weder den eigenen Tod noch den eigenen Lebenswunsch ablehnen: auf diese Weise erschließt sich uns unsere wahre Natur – in diesem Leben. Aber erstreckt sich diese Freiheit auch noch – wie ich gehört habe – auf unser Erlöschen? Der Staub als Seinsgrund? Das hat eine gewisse Poesie, aber weitaus mehr Poesie hat Ariels Lied »Perlen seine Augen-Ballen.« Und diese Leben wurden hier symbolisch verbrannt. Ich denke an die toten Körper in den Särgen, die von Bakterien und Maden zerfressen werden oder zu Asche verbrannt sind, und die dennoch hoffnungslos betrauert werden von so vielen, an ihrer Erinnerung leidenden Angehörigen. Das lässt mir diese selbstgenügsame Frömmigkeit hier so rätselhaft erscheinen.

Vielleicht aber ist sie gar nicht so selbstgenügsam. Vielleicht suchen all diese Männer und Frauen um mich her, die in gutem Geist aus dem Raum strömen, ja auch ganz aufrichtig nach jenem Vertrauen, das sie bisher nur erahnen können. Vielleicht suchen sie in Wahrheit eine Lebensweise, die ihnen schon jetzt Linderung und Trost schenkt; und was wäre da besser als die Toten ihre wahre Natur finden zu lassen und sie wieder in den Stand eines ersehnten und erfüllten Lebensgefühls zu erheben?

Warum auch nicht? Der Friede, den sie den Toten wünschen, ist derselbe Friede, den sie sich selber wünschen. Friede – oder seine höhere Form: Freude. Verbirgt sich hinter den matten Blicken während der Zeremonie nicht jene beflügelt hartnäckige Lebensfreude, nach der wir uns alle sehnen? Das einzige, was wirklich zählt?

Vielleicht gehöre ich nicht hierher.

 

Was ist ein Hospiz?

Seit dem Mittelalter war Hospiz ein Begriff für ein Gebäude, das der Aufnahme von Gästen galt, zu denen immer häufiger auch Kranke gehörten. Es entstanden die ersten Hospitäler.

Heute versteht man unter dem Begriff »Hospiz« ein umfassendes Konzept. Sterbenskranke Menschen sollen auch in ihrer letzten Lebensphase daheim sein können. Dies geschieht in der Regel ambulant, d.h. wirklich in der eigenen Wohnung durch Besuchsdienste. Es kann aber auch durch speziell eingerichtete Zimmer in Krankenhäusern und Pflegeheimen geschehen und wird als gleichrangig unter den genannten Wegen auch in stationären Hospizen verwirklicht. (www.hospiz.net).

Deutschland:
Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz
Am Weiherhof 23 · D-52382 Niederzier
Fon: +49 (0) 2428-802937
Fax: +49 (0) 2428-802892
eMail: bag.hospiz@hospiz.net
Internet: www.hospiz.net

Österreich:
Dachverband Hospiz Österreich
Müllnergasse 16 · A-1090 Wien
Fon: +43 (0) 1 803 98 68
Fax: +43 (0) 1 803 25 80
eMail: dachverband@hospiz.at
Internet: www.hospiz.at

Schweiz:
Hospiz
Carmenstrasse 42 · CH-8032 Zürich
Fon: +41 (0) 44 265 38 11
Fax: +41 (0) 44 265 38 22
eMail: info@hospiz.ch
Internet: www.hospiz.ch

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Foto: Stephen  Schoen

Stephen Schoen M.D.

Dr. Stephen Schoen, *1923, +2018, Psychiater und Gestalttherapeut in San Rafael/Kalifornien.
Zu seinen Lehrern gehörten Fritz Perls, Harry Stuck Sullivan, Milton Erickson und Gregory Bateson.
Er lehrte viele Jahre Gestalttherapie in den USA und in Europa.
In der Edition des Gestalt-Instituts Köln/GIK Bildungswerkstatt im Peter Hammer Verlag erschienen bereits seine Bücher
"Wenn Sonne und Mond Zweifel hätten. Gestalttherapie als spirituelle Suche" und "Greenacres. Ein Therapie-Roman".

 

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Aus dem Amerikanischen von Ludger Firneburg
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Der Psychotherapeut David hadert mit dem Altwerden. Er entscheidet sich, ehrenamtlich in einem Zen-Hospiz zu arbeiten, um sich mit Vergänglichkeit und Tod auseinanderzusetzen. David erfährt, auf welch unterschiedliche Weise Menschen dem Tod nahe sind. Und er lernt, dass die Nähe zum Tod großzügig macht: die Sterbenden, die Begleiter und nicht zuletzt auch ihn selbst.

gikPRESS 2019 (Neuauflage)
GIK Gestalt-Institute Köln & Kassel
112 Seiten , Paperback: 14,80 EUR, eBook: 9,99 EUR

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